Kein Raum für NS-Dichter: Graz benennt Platz um

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Aufarbeitung: Der Umgang mit historisch belasteten Straßennamen sorgt in der Steiermark für Aufregung. Befürworter wie Kritiker klagen darüber, dass es kein Konzept dahinter gibt.

Graz. Mit der Adresse „Heinrich-Lersch-Platz“ konnte man Taxifahrer in Graz bisher auf ihr örtliches Detailwissen prüfen. Das geht jetzt nicht mehr. Den nach dem 1889 geborenen und dem Nationalsozialismus nahestehenden Dichter benannten Platz gibt es nämlich nicht mehr. Die versteckte Ausbuchtung in einer kleinen Sackgasse im Bezirk Eggenberg trägt in Zukunft den Namen der Widerstandskämpferin Helene Serfecz, die 1943 von einem NS-Gericht zum Tode verurteilt wurde.

Die Umbenennung wurde bei der Gemeinderatssitzung vergangenen Donnerstag beschlossen. Gegen die Stimmen der FPÖ. Sie verteidigte Lersch bis zuletzt – er sei kein Gefolgsmann der Nazis gewesen, sondern ein Katholik, der nach anfänglicher Kriegsbegeisterung zum Pazifisten wurde. Die Debatte über die Umbenennung hat acht Jahre gedauert. Bezeichnend für den zögernden Umgang der Politik mit diesem Thema. Zwar gibt es im Grazer Gemeinderat einen Unterausschuss für historisch belastete Straßennamen, tatsächliche Entscheidungen fallen aber selten. „Meist gibt es keine seriöse Diskussion, sondern eine ideologisch aufgeheizte Konfrontation“, bedauert die Klubobfrau der Grazer Grünen, Christina Jahn.

Zusatztafel statt Umbenennung

Die strittigen Fälle sind seit Jahren dieselben: Straßenzüge, die nach Turnvater Friedrich Ludwig Jahn oder den mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebrachten Dichtern Hans Kloepfer, Hans Mauracher oder Ottokar Kernstock benannt sind. „Verdienstvolle Größen sollen aus dem öffentlichen Raum verbannt werden, da ihnen ein Nahverhältnis zum Nationalsozialismus nachgesagt wird“, meinen die Freiheitlichen. Dennoch strebt Jahn „noch in dieser Periode“, also bis 2013, eine Umbenennung beispielsweise der Kernstockgasse an. Mehrheiten zu finden, wird schwierig werden.

„Im Unterschied zu konkreten NS-Künstlern reichen bei von den Nazis vereinnahmten Künstlern Zusatztafeln“, sagt VP-Gemeinderat Thomas Rajakovics. Kernstock könnte in diese Kategorie fallen. Dessen „Hakenkreuzgedicht“ wurde von den Nazis erst ab 1938 als Propagandalyrik verwendet. Da war Kernstock, der auch Autor der „Volkshymne“ ist, die von 1929 bis 1938 die Nationalhymne der Ersten Republik sowie des Ständestaats war, schon zehn Jahre tot.

Derartige Persönlichkeiten seien „Teil der Geschichte – dazu muss man stehen, kann sie in entsprechenden Fällen aber mit Zusatztafeln kommentieren“, sagt Rajakovics. Eine Linie, die man auch in Wien verfolgt. „Straßennamen spiegeln die guten wie schlechten Seiten der Geschichte wider, wir wollen sie nicht auslöschen“, argumentiert man im Büro von Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SP). Der Kernstockplatz in Ottakring wurde zwar 1992 in Familienplatz umbenannt, seither hat es aber nur mehr sehr wenige Wechsel gegeben.

Großer Aufwand für Bewohner

Vor allem auch, weil der Aufwand zu groß wäre, verweist man in Wien und Graz auf die bürokratischen Folgen. Sämtliche Adresskontakte, Aufschriften und Amtsdaten der Bewohner müssten geändert werden. Meist bleibt es daher bei einer wissenschaftlichen Analyse. So arbeitet in Wien eine Expertenkommission gerade an einer umfassenden Prüfung aller nach Personen benannten Straßen und Plätze. Für Graz haben Karin Gradwohl-Schlacher und Uwe Baur von der „Forschungsstelle Österreichische Literatur im Nationalsozialismus“ der Uni Graz im vergangenen Jahr eine entsprechende Arbeit vorgelegt. In 24-jähriger Arbeit haben die beiden Wissenschaftler die weltweit umfassendste Analyse deutschsprachiger Autoren in der NS-Zeit zusammengestellt. Einige sind noch immer auf Straßenschildern zu finden.

In der Uni-Studie belasteter Namen finden sich auch pikante Fälle. So ist nach dem Schriftsteller Franz Nabl ein Literaturpreis benannt, den die Stadt Graz seit 1975 vergibt, und es gibt seit 1990 ein eigenes Nabl-Institut für Literaturforschung. „Der Autor muss als einigermaßen opportunistischer Nutznießer des NS-Systems eingeschätzt werden, der auch nach 1945 keine klaren Worte zur eigenen NS-Verstrickung fand“, wird auf der Homepage des Instituts selbstkritisch angemerkt.

Wo also Grenzen ziehen? „Das ist in diesen Fällen extrem schwierig – ich bin gar nicht sicher, ob es sie überhaupt gibt“, sinniert Jahn: „Wir tun immer nur an Einzelfällen herum, aber es fehlt das große Konzept dahinter.“ In Klagenfurt ging man vor drei Jahren einen Mittelweg. Die nach Ferdinand Porsche, einem von Hitlers Lieblingsingenieuren, benannte „Prof.-Porsche-Straße“ wurde in eine unverfänglichere „Porschestraße“ umbenannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2011)

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