Milinkewitsch: „Lukaschenko will möglichst viel Angst verbreiten“

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Der weißrussische Oppositionsführer Milinkewitsch fordert mehr Härte von der EU. "Um in einem autoritären System zu helfen, braucht es andere Mechanismen als für demokratische Verhältnisse. "

Die Presse: Nach dem blutigen Bombenanschlag in Minsk hat Lukaschenko die Schuld auf die Opposition geschoben. Was bedeutet dies?

Aleksander Milinkewitsch: Die Anordnung Lukaschenkos, die Hintermänner in der Opposition zu suchen, klingt absurd. Ich bin seit der Zeit der Perestrojka in der Opposition aktiv und weiß, dass es in Weißrussland keine oppositionellen Kräfte gibt, die zu so einem Verbrechen fähig wären. Die Opposition kämpft mit zivilisierten Mitteln gegen die Diktatur. Lukaschenkos Reaktion zeigt, dass er nun versucht, noch mehr Angst in der Gesellschaft zu verbreiten und die Daumenschrauben ein für alle Mal anzuziehen.

Schon nach den Nachwahlprotesten vom Dezember war die Opposition vermehrt Repressionen ausgesetzt.

Neben den rund 30 neu inhaftierten Oppositionellen hatten und haben vor allem ein paar NGOs Probleme. Mit hohen Haftstrafen für die demokratischen Präsidentschaftskandidaten will das Regime Angst unter den politischen Aktivisten säen. Dazu werden in den nächsten paar Monaten Schauprozesse wie einst unter Stalin angesetzt, die zeigen sollen, dass diese Oppositionellen radikale und blutrünstige Agenten des Westens seien. Im Moment wird ihre Untersuchungshaft verlängert, um weiter Druck auszuüben.

Werden diese politischen Gefangenen später – wie nach der Präsidentschaftswahl 2006 – für Kuhhändel mit der EU gebraucht?

Bevor harte Urteile gefällt worden sind, geschieht dies nicht. Es geht vorerst vor allem darum, die Kontrolle im eigenen Land zu verstärken. Für später aber will ich keine Händel ausschließen – auch nicht finanzielle.

Vor zwei Monaten haben eine Reihe von westlichen Staaten in Warschau beschlossen, die weißrussische Zivilgesellschaft zu unterstützen. Ist diese Hilfe bereits angekommen?

Konkrete erste Hilfsmaßnahmen für die politischen Gefangenen und jene, die nach den Protesten ihre Arbeitsstelle oder den Studienplatz verloren haben, sind eingetroffen. Doch für eine langfristige wirkliche Hilfe muss Brüssel seine Prozeduren ändern und vereinfachen, sonst wird daraus nichts.

Brüssel ist heute also zu schwerfällig?

Um in einem autoritären System zu helfen, braucht es andere Mechanismen als für demokratische Verhältnisse. Das Schlimmste wäre, wenn diese großen Summen außerhalb Weißrusslands ausgegeben würden – für Seminare, Konferenzen, Praktika und Meetings, aber nicht für die konkrete Arbeit vor Ort in Weißrussland. Das Wichtigste ist die Arbeit vor Ort!

Welche Arbeit vor Ort schwebt Ihnen konkret vor?

Die Opposition kann nicht nur im Internet mit Artikeln und Slogans existieren oder auf dem Satellitensender „Belsat“, sondern sie muss zu den Leuten rausfahren. Und dort in der Provinz dürfen wir nicht nur bei Meetings sprechen, sondern wir müssen vor allem den Bürgern konkret dabei helfen, sich selbst zu organisieren und kleine lokale Probleme zu lösen. Das alles ist eine Investition in unsere Zukunft, denn so wird eine demokratischen Gesellschaft aufgebaut.

Ihre Bewegung „Für die Freiheit“ will das besser machen. Wie?

„Für die Freiheit“ will nicht nur die eigenen Mitglieder mobilisieren, sondern die ganze Gesellschaft. Zum Beispiel bei der „Europäischen Volksuniversität“: Wir organisieren Kurse, Treffen und Studienreisen in neue EU-Staaten, damit sich die Kader der Zukunft über die Transformation informieren können. Die so geschulten Aktivisten können dereinst in die Lokalorgane gewählt werden und werden dann die Reformen nach dem Sturz Lukaschenkos durchführen.

Im Moment herrscht eine Devisenkrise in Weißrussland, die Preise steigen drastisch. Hilft dies der Opposition?

Weißrussland kann nur mithilfe von außen überleben. Lukaschenko wird zuerst die Oppositionsführer einsperren und dann möglichst viel Geld von China und Russland borgen. Dann wird er versuchen, wieder mit dem Westen ins Geschäft zu kommen. Da die EU keine Anteile an weißrussischen Staatsbetrieben, sondern nur demokratische Zugeständnisse will, ist sie das kleinere Übel. Zumal er seine Macht ja wieder für fünf Jahre gesichert hat. Der Westen muss diesmal konsequent sein. Eine Roadmap muss her und die Hilfsgelder dürfen nur für konkrete Zugeständnisse und nicht bloß Versprechen ausbezahlt werden. Lukaschenko versteht nur konkrete Taten und Machtanwendung, Kompromisse bedeuten für ihn Schwäche.

ZUR PERSON

Aleksander Milinkewitsch (* 25.7 1947) trat 2006 als Führer der Opposition gegen Weißrusslands Präsidenten Lukaschenko an und erhielt sechs Prozent der Stimmen. Bei der Wahl im Vorjahr stieg er nicht mehr in den Ring. Von 1990 bis 1996 war der Physiker Vizebürgermeister der Stadt Hrodna.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2011)

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