In Ungarn wird Präsident Pál Schmitt am Montag die umstrittene neue Verfassung unterzeichnen. Ein Jahr nach seinem triumphalen Wahlsieg schaltet und waltet der rechtskonservative Premier Viktor Orbán, wie er will.
Viktor Orbán ist an seinem Zenit angelangt. Seit János Kádár, dem Vater des Gulaschkommunismus (1957 bis 1988), besaß kein anderer Ungar eine solche Machtfülle wie der 47-jährige Premier. Orbán und seine rechtskonservative Partei „Fidesz“ können nach Belieben schalten und walten. Die Zweidrittelmehrheit im Parlament gibt ihnen freie Bahn. Und nun haben sie auch noch eine Verfassung gezimmert, die dem Gusto des charismatischen Anführers entspricht.
Schon während seiner ersten Amtszeit 1998 bis 2002 hatte Orbán seinen Machtinstinkt aufblitzen lassen. Damals stand er allerdings einer Koalitionsregierung vor, in der er auf Juniorpartner Rücksicht nehmen musste. Seit seinem Erdrutschsieg vor einem Jahr kann Orbán sein Weltbild nun voll und ganz zur Entfaltung bringen. Am Tag dieses historischen Wahltriumphs, am 25. April 2010, hatte er noch versprochen, „Bescheidenheit und Demut“ walten zu lassen. Daran hält sich seine Regierung aber nicht wirklich. „Fidesz-Dampfwalze“ nennt man seine Partei inzwischen. Alles, was sich ihr in den Weg stellt, walzt die Regierung kraft ihrer Zweidrittelmehrheit nieder.
Gehorsam zählt
Ohne viel Zögern ging Orbán bereits kurz nach Antritt seiner Regierung daran, die wichtigsten Positionen im Staatsapparat mit Personen zu besetzen, die ihm hörig sind. Ein Paradebeispiel hierfür ist Pál Schmitt, der Ende 2010 László Sólyom als Staatsoberhaupt ablöste. In den Augen Orbáns bestand Sólyoms Defizit einzig darin, dass er eine eigene Meinung hatte und diese auch oft kundtat. Der ehemalige Fecht-Olympiasieger Schmitt dagegen ist ein treuer Knecht seines Herrn Orbán. Dass Schmitt sich durch linkische Auftritte und peinliche Rechtschreibfehler wiederholt zum Clown der Nation gemacht hat, stört Orbán offenbar kaum. Was wirklich zählt, ist seine Gehorsamkeit.
Orbán und seine Regierung hatten auch keine Skrupel, in weiten Teilen des Staatsapparates, hierzu gehört auch das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen, Köpfe rollen zu lassen. Sie schufen kurzerhand ein Gesetz, um Staatsbedienstete ohne Nennung von Gründen feuern zu können. Tausende Beamte wurden geschasst und durch loyale Kader ersetzt. Ohne mit der Wimper zu zucken verabschiedeten die Abgeordneten der Regierungspartei Fidesz auch Gesetze, die auf Günstlinge Orbáns zugeschnitten sind. Der Leiter der Finanzaufsichtsbehörde (PSZÁF), Károly Szász, etwa wurde von jenem Gesetz glatt ausgenommen, das Abfindungen an Staatsbedienstete rückwirkend auf fünf Jahre mit einer 98-prozentigen Steuer belegt. Diese Ausnahmeregel erschuf in oppositionellen Medien die Bezeichnung „Lex Szász“.
Die rückwirkende Besteuerung der Abfindungen von Beamten wurde übrigens wegen Verfassungswidrigkeit für nichtig erklärt. Reaktion Orbáns: Dem Verfassungsgericht wurden die Befugnisse bei Steuerfragen mittels parlamentarischer Zweidrittelmehrheit einfach entzogen.
Umstrittenes Mediengesetz
Jene Aktion der Regierung, die bisher indes für das größte Aufsehen gesorgt hatte, war die Schaffung des neuen Mediengesetzes. Die Regierung peitschte es zunächst trotz internationaler Kritik, es sei praktisch ein „Medien-Knebel“, durchs Parlament, um es dann auf Drängen der EU doch zu entschärfen. Eine ähnliche Situation war auch bei der dieswöchigen Verabschiedung der neuen Verfassung zu beobachten: Vorwürfe, wonach das Grundgesetz illegitim, mittelalterlich, hypernationalistisch und undemokratisch sei, perlten von der Regierung ab. Die Opposition schoss dabei aber auch übers Ziel, ihre Kritik, der sich vor allem linke Politiker im Ausland anschlossen, war teils schon hysterisch. Von Anklängen an den Faschismus der 1930er-Jahre war da sogar die Rede. Das ist überzogen.
Muffig und sakral. Doch einen gesellschaftlichen Konsens bildet die neue Verfassung nicht ab. Zu muffig und sakral ist der Pathos in der Präambel der Verfassung, die sich auf Gott beruft und den Schutz ungeborenen Lebens festschreibt. In Kürze soll das „Nationale Glaubensbekenntnis“, wie es ernsthaft heißt, trotzdem in allen Amtsstuben aushängen.
Auch in der Wirtschaftspolitik fuhr die Regierung polternd ihren „ungarischen Weg“. In Schranken gewiesen werden konnte sie nur durch die EU, etwa in der Budgetpolitik. Aus allen Hörnern blies Orbán zum „wirtschaftlichen Freiheitskampf“, um sich der „Bevormundung“ internationaler Finanzorganisationen wie des IWF zu entreißen.
Durchdacht war dabei wenig
Wirtschaftspolitisch fuhr die Regierung bisher einen planlos wirkenden Schlingerkurs. Ein paar ihrer Entscheidungen waren sehr fragwürdig. So brummte sie Banken, Telekomunternehmen, Handelsketten und Energieversorgern horrende Sondersteuern auf. Zudem verstaatlichte sie willkürlich die Ersparnisse von drei Millionen Ungarn in den Privatpensionskassen, um Budgetlöcher zu stopfen. Ratingagenturen stuften die Kreditwürdigkeit Ungarns herab, das Land steht nur noch eine Stufe über der Kategorie „Ramsch“.
Die Wähler flüchten. Vielen Fidesz-Wählern lief die brachiale Machtpolitik Orbáns offenbar gegen den Strich. Laut Umfragen verlor die Regierungspartei in den vergangenen drei Monaten ein Drittel ihrer Wählerschaft.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 24. April 2011)