Geocaching: Die Lust am Versteck(t)en

Geocaching Lust Versteckten
Geocaching Lust Versteckten(c) Clemens Fabry
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Hat uns das Versteckspielen während der Kindheit noch das Wechselspiel zwischen Nähe und Distanz gelehrt, sind wir nun auf der Suche nach versteckten Gegenständen – der Spannung wegen.

Mitten in der Stadt: Die Sonne knallt auf die belebte Kreuzung, wo Ursula Gamperl steht und den Pinguin sucht. Aber nicht lange. Sie erblickt den Pinguin aus Plastik auf einem kleinen Balkon, wendet sich dann ab, konzentriert sich auf ihr GPS-Gerät und sucht nach neuen Koordinaten. Eine Gedenktafel ist das nächste Ziel, sagt sie und biegt in die nächste Straße ein. Gamperl ist auf der Suche nach einer Box. Versteckte Boxen suchen ist nämlich ihr Hobby.

Gamperl – und tausende andere – haben das alte Spiel „Verstecken, suchen und finden“ neu interpretiert. Das Spiel heißt „Geocaching“ und ist nichts anderes, als eine Suche mithilfe von GPS-Navigationsgeräten. Das Prinzip hat sich allerdings nicht verändert. Man kennt es von Geschichten über vergrabene Schätze in der Piratenwelt, von Schnitzeljagden, von Versteckenspielen in der Kindheit. Und nun, zu Ostern, hat dieses alte Spiel Hochsaison. Nur: Was ist das Faszinierende am Verstecken und Suchen? Was treibt beispielsweise die rund 10.000 aktiven Geocacher in Österreich an, sich regelmäßig auf die Suche nach Krimskrams in einer Box zu machen?

Eine Box ist das Ziel von Geocaching. Zumeist ist es nur ein kleiner Tupperware-Behälter mit nützlichen Utensilien wie Batterien oder auch nur gefüllt mit wertlosem Plunder. Die Koordinaten werden verschlüsselt im Internet bekannt gegeben (geocaching.com). Findet ein Cacher eine Box, dann trägt er sich in das „Logbuch“ (Notizbuch) ein, das sich ebenfalls darin befindet. Nach dieser Eintragung war die Suche erfolgreich. Belohnung gibt es keine, bestenfalls Anerkennung in der Geocaching-Community im Internet und die Zufriedenheit, das Ziel erreicht zu haben.

Den Ursprung der Lust am Verstecken und Suchen ortet der Psychologe Cornel Binder-Krieglstein in der Kindheit, konkret beim Versteckenspielen. Das Wechselspiel von Nähe und (selbst gewählter) Distanz zur Bezugsperson zeige auf, dass wir grundsätzlich das Bedürfnis zu Nähe haben, diese aber auch selbst steuern wollen, indem wir uns für kurze Zeit verstecken. Das Ziel ist es freilich, wieder gefunden zu werden. Die US-amerikanische Psychologin Shirah Vollmer schreibt in „Psychology Today“, dass Kinder durch dieses Spiel vor allem eines lernen: Eine Trennung kann auch eine Zusammenkunft bedeuten.

Eine weitere Komponente dieses Spiels ist die Spannung, die während der Suche erzeugt wird. Kann ich finden und gefunden werden? Wenn ja, wie schnell? Genau diese Spannung überträgt sich auch auf versteckte Gegenstände. Bestes Beispiel sind Geburtstagsgeschenke. Diese werden nicht zuletzt deswegen eingepackt (versteckt), damit der Inhalt nicht sofort sichtbar ist und der Prozess des Auspackens „wohlige Spannung“ erzeugt, wie Binder-Krieglstein das ausdrückt. Das ist bei der Eiersuche zu Ostern nicht anders – und das, obwohl die Beteiligten wissen, wonach sie eigentlich suchen. Es ist die Spannung: Können wir das Ei schnell finden?

Wie beim Bergsteigen. Gefunden hat Ursula Gamperl in der Zwischenzeit die Gedenktafel. Die Zahlen auf der Tafel – die neuen Koordinaten – führen sie anschließend zu dem Platz, wo die Box versteckt sein soll. Dort angekommen, dreht sie sich im Kreis und beobachtet aufmerksam die Gegend, als ein älterer Herr mit Hornbrille und Aktentasche auf sie zukommt: „Was suchst du?“ Erst bei näherem Hinsehen wird erkennbar, dass auch er ein GPS-Gerät in der Hand hält und ebenfalls den kleinen Behälter im Visier hat. Sie tauschen Erfahrungen aus, Zahlen und Koordinaten – und machen sich anschließend gemeinsam auf die Suche.

„Es geht nicht darum, dass ich was lukriere“, sagt Gamperl. „Es geht um das Erfolgserlebnis.“ Es sei wie beim Bergsteigen, wenn eine Höhe erklimmt wird und man oben, am Ziel angelangt, zufrieden herunterblickt. Beim Geocaching gehe es schlicht und einfach um das Finden selbst. Rund zehn Boxen sucht (und findet) Gamperl im Monat. Abends, wenn sie früher als geplant ein Lokal verlässt, steigt sie manchmal eine U-Bahn-Station früher aus und sucht nach einem versteckten Behälter. Die meisten Caches rund um ihr Grätzel hat sie bereits gefunden.

Unangenehme Geheimnisse. Das Suchen nach versteckten Dingen hat allerdings nicht nur positive Seiten. Ist man in Eile und findet die Autoschlüssel nicht, dann ist die Suche nicht wohlig, sondern hektisch, frustrierend – aber vor allem nicht freiwillig.

Oft ist auch das Verstecken selbst belastend. Die Psychotherapeutin Patricia Göttersdorfer verweist als Beispiel auf Alkoholmissbrauch in den eigenen vier Wänden und den Druck auf die Familienmitglieder, nicht öffentlich darüber zu sprechen. Unangenehme Geheimnisse versteckt halten zu müssen, braucht viel Energie, so Göttersdorfer. In den extremsten Fällen könne das zu psychischen Störungen führen

Die Geheimhaltung – freiwillig und im positiven Sinn – ist auch das Ziel der Geocacher, während sie auf der Suche sind. Zum einen, weil Passanten nicht sehen sollen, wo ein Cache versteckt ist. Zum anderen, damit zufällig vorbeigehende Cacher-Kollegen nicht erfahren, dass gerade ein Schatz ausgegraben wurde. Sie müssen das Versteckte nämlich schon selbst suchen.

Geocaching
Bei diesem „Suchspiel“ werden kleine Boxen („Caches“) gesucht, die mit Krimskrams und einem „Logbuch“ gefüllt sind. Die Koordinaten der Caches finden die Sucher im Internet. Wird eine Box gefunden, dann trägt man sich im Logbuch ein und versteckt sie anschließend wieder an derselben Stelle. Die Gegenstände in der Box werden entweder ausgetauscht oder gar nicht angerührt.

geocaching.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2011)

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