Danny Ayalon: "Die Hamas ist wie al-Qaida"

(c) Michaela Bruckberger
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Israels Vize-Außenminister Danny Ayalon regt einen Marshallplan für den Nahen Osten an und warnt davor, dass radikale Islamisten die Früchte der Revolutionen in der arabischen Welt ernten könnten.

Nicht nur die USA und Europa, auch Israel scheint durch die Aussöhnung zwischen Fatah und Hamas überrascht worden zu sein. Welche Konsequenzen hat die Bildung einer palästinensischen Regierung der Nationalen Einheit?

Danny Ayalon: Die Hamas ist für uns tabu. Schon ihr Sieg bei den palästinensischen Wahlen 2006 war eine Farce.

Das waren demokratische Wahlen.

Im Oslo-Abkommen war festgehalten, dass nur legitime Parteien bei Wahlen antreten können, die keine militärischen Operationen und Terroraktionen starten.

Sie wissen doch selbst, dass sich die damalige US-Regierung Bush für ein Antreten der Hamas einsetzte.

Das war ein großer Fehler. Trotzdem: Die Hamas gewann damals gar nicht die Mehrheit der Stimmen, sie errang die Mehrheit aufgrund des Wahlsystems und weil sie gut organisiert war. Und: Bis heute hält sich die Hamas nicht an die internationalen Standards des Nahost-Quartetts, von dem sie aufgefordert wurde, Israel anzuerkennen, den Terror zu stoppen und Abkommen mit Israel zu achten. Wenn die Hamas das tut, kann sie ein Ansprechpartner sein. Aber letztlich müssen die Palästinenser zwischen Hamas und Fatah eine Wahl treffen.

Dafür gibt es die Wahlen, die die neue Einheitsregierung vorbereiten soll. Was ist also das Problem daran?

Die Hamas ist autoritär und sehr diszipliniert. Sie wird versuchen, nach Gaza auch die Westbank zu erobern. Die Fatah ist nicht gut genug organisiert. Wir können den Friedensdialog mit den Palästinensern nicht abschließen, solange sie eine Hamas-Regierung und Hamas-Ideologie haben.

Es gibt doch seit September ohnehin keine Friedensdialoge?

Das liegt nicht an uns.

Das sagen die Palästinenser auch, diese Kiste möchte ich nicht öffnen.

Vor Kurzem erst hat Lieberman den Sturz der Hamas gefordert. Diese Strategie funktioniert seit fünf Jahren nicht. Ist es nicht Zeit, dass Israel eine andere Strategie wählt?

Manche von uns fragen sich, warum Israels damalige Regierung die Militäroperation „Gegossenes Blei“ 2008 nicht fortsetzte, um die Hamas zu stürzen. Das war vielleicht ein Fehler. Aber wenn man uns sagt, dass wir mit der Hamas reden sollen, ist das so, wie wenn man die USA und Europa bäte, mit al-Qaida zu verhandeln.

Glauben Sie wirklich an diesen Vergleich oder ist das nur Propaganda?

Die Hamas ist wie al-Qaida. Wir lesen ihre Schriften, und wir hören, was sie sagen. In ihrer Charta hat sich die Hamas die Vernichtung Israels zum Ziel gesetzt. Was gibt es da noch hinzuzufügen?

Ich sehe keinen politischen Arm der al-Qaida.

Wichtiger ist die Ideologie. Beide lehnen Toleranz und eine Koexistenz mit Nichtmoslems ab. Der einzige Unterschied zwischen Hamas und al-Qaida ist, dass die Hamas derzeit territorial auf Israel und Palästina fixiert ist, während al-Qaida global agiert.

Ich war vor Kurzem mit Außenminister Spindelegger in Gaza...

...übrigens die Situation in Gaza ist sehr gut. Freunde erzählten mir, dass es in Gaza Restaurants gibt, die zehn Eissorten auf der Speisekarte haben.

Ist das nicht zynisch? Die Menschen dort können sich nicht frei bewegen, die Wirtschaft steht still. Und Israel bestraft mit seiner Blockade auch Menschen, die mit der Hamas gar nichts am Hut haben.

Politik ist die Kunst des Möglichen, man muss die Balance zwischen vielen Übeln finden. Das Hauptübel ist die Terror-Industrie. Unser erstes Ziel ist es, Israels Bevölkerung zu schützen. Wir unterscheiden dabei zwischen Zivilisten und Terroristen. Wir glauben nicht an Kollektivstrafen.

Eine Blockade ist eine Kollektivstrafe.

Deshalb haben wir im letzten Juni Maßnahmen ergriffen, um kontrollierte Lieferungen nach Gaza zu erlauben. Es muss Kontrollen geben, sonst riskieren wir alles.

Was wird Ihre Regierung tun, damit sich die Palästinenser bei der Wahl gegen die Hamas entscheiden? Wird es eine neue Friedensinitiative geben?

Jeder will ein neues Angebot von Israel, niemand verlangt das von den Palästinensern. Die Palästinenser haben maximalistische Ansichten: 67er-Grenzen, keine Siedlungen, Rückkehr von Flüchtlingen. Es ist Zeit, realistischer zu werden.

Ihre Regierung will ein neues Interimsabkommen mit den Palästinensern.

Ja, das ist meine Philosophie. Die Kluft zwischen beiden Seiten ist zu groß, vor allem bei den Kernfragen. Ich sehe nicht, dass PLO-Chef Abbas zu Kompromissen bei Flüchtlingen oder in der Jerusalem-Frage bereit ist. Ein langfristiges Interimsabkommen könnten den Interessen beider Seiten dienen. Es würde uns Sicherheit geben und den Palästinensern Souveränität und Unabhängigkeit.

Mit welchen Grenzen?

Das ist der Punkt. Wir können uns nicht auf Grenzen einigen. Also lasst uns die Frage aufschieben.

Das läuft der Absicht vieler Länder entgegen, Palästina im Herbst in der UNO als Staat anzuerkennen.

Ich bat auch Österreichs Staatssekretär Waldner hier in Wien, nicht in diese Falle einseitiger Deklarationen zu tappen. Das widerspräche allen Abkommen seit Oslo, die eine bilaterale Verhandlungslösung zwischen Israel und den Palästinensern vorsehen. Die EU ist ein Signatar dieser Abkommen.

Frankreich hat sich schon für die Anerkennung Palästinas ausgesprochen.

Aber es hat noch keine Entscheidung getroffen. Auch die deutsche Kanzlerin Merkel sagte, sie sei gegen unilaterale Aktionen. Es ist nicht nur illegal, sondern auch unrealistisch. Man kann keine Lösung oktroyieren. Die Palästinenser haben eine automatische Mehrheit in der UN-Generalversammlung. Sie brächten auch eine Resolution durch, in der steht, dass die Welt flach ist. Sie bringen jede Resolution durch, aber sie bedeutet überhaupt nichts. Ich glaube nicht, dass der Sicherheitsrat zustimmen würden. Denn dort gibt es Länder mit mehr Verantwortungsgefühl für Sicherheit und Frieden.

Die UNO und die Weltbank haben der Autonomiebehörde attestiert, das Westjordanland gut auf Eigenstaatlichkeit vorbereitet zu haben.

Das ist eine Übertreibung und Wunschdenken. Wir würden gern einen palästinensischen Staat sehen, neben dem Israel in Frieden und Sicherheit existiert. Aber das Letzte, was die Region braucht, ist ein weiterer ,failed state‘ oder ein terroristischer Staat.

Israel ist sehr skeptisch, was den arabischen Frühling betrifft. Wovor fürchtet sich Israel?

Wir sorgen uns, dass extremistische Gruppen diese Revolutionen stehlen. Und es gibt ein Beispiel dafür: die Iranische Revolution 1979.

Israel zog offenbar autokratische Regimes wie jenes von Mubarak vor, weil sie stabil waren.

Nein. Wenn wir von Ländern wie Österreich umgeben wären, hätten wir schon lange Frieden.

Warum streckt Israel nicht seine Hand aus?

Zu wem denn, den Demonstranten, den Regierungen? Es würde gegen uns verwendet werden. Glauben Sie mir.

Hat Israel eine Strategie für die neue Situation? Sie scheinen angesichts des Umbruchs noch immer unter Schock zu stehen.

Nicht anders als die USA oder Europa. Derzeit sind wir Zuschauer. Wir können nicht viel tun, um die Entwicklung zu beeinflussen.

Ist es genug, Zuschauer zu sein?

Nein, es ist nicht genug. Wenn ich die Möglichkeit hätte, die Situation im Nahen Osten zu beeinflussen, würde ich eine zweigleisige Strategie wählen. Erstens müssen wir aber schauen, dass Extremisten mit ihrer Schaltzentrale im Iran nicht das Kommando übernehmen. Zweitens müssten wir den Menschen im Nahen Osten einen Marshallplan anbieten. Die arabische Welt muss nicht nur ihr Bildungsniveau heben und Armut bekämpfen, sie muss in den nächsten zehn Jahren 50 Millionen Jobs schaffen, um allein das heutige Niveau zu halten.

Der arabische Marshallplan klingt nach einer guten Idee, aber wir sind gerade mitten in einer Schuldenkrise.

Genau. Wenn die EU und die USA einen internationalen Gipfel organisieren, um einen Superfund für den Nahen Osten aufzustellen, müsste das meiste Geld aus den Golfstaaten kommen.

Glauben Sie wirklich, dass Saudiarabien und die Golfstaaten Interesse an funktionierenden Demokratien hätten?

Saudiarabien hat ein Interesse, die Lage zu stabilisieren. Jobs werden schnell geschaffen werden, wenn man in Infrastruktur, in Straßen und Häuser investiert. Und die Saudis können davon profitieren. Man muss den Bürgern eine Vision anbieten. Was gibt man den Ägyptern, wenn die Euphorie weg ist? Es wird noch immer kein Essen auf dem Tisch geben und keine Jobs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2011)

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