Polen: „Papstfieber“ sieht anders aus

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Die Polen haben ein geringeres Interesse an der Seligsprechung ihres Landsmanns Johannes Paul II., vulgo Karol Wojtyla, am Sonntag als erwartet. Erwartet werden samt Individualreisenden im Vatikan 80.000 Polen.

Es ist bereits Mittag, doch die Sonderbeilage der führenden polnischen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ lässt sich einfach nicht verkaufen. Nur zehnmal mehr als das Normalblatt koste so ein Exemplar mit eingeschweißter Johannes-Paul-II.-Münze. „Mit einem 24-Karat-Goldfilm überzogen“, jubelt die Werbung.

„Verkauft habe ich davon heute erst zwei“, sagt allerdings die Kioskfrau – Enttäuschung und Überraschung zugleich stehen in ihrem Gesicht: Seit Wochen schon sind Dutzende Sonderdrucke zur Seligsprechung am Sonntag in ihrer Auslage, doch der mit der Münze für umgerechnet fünf Euro will einfach nicht weg.

Die Polen bleiben lieber in Polen

„Unter dem Motto ,Santo Subito!‘ (sofort heilig) haben wir Pilgerreisen in den Vatikan organisiert, auf der unsere Pilger für eine schnelle Kanonisierung des Heiligen Vaters baten“, warb das Reisebüro „Victoria Travel“ monatelang, „heute können wir daher unsere ganze Erfahrung für eine Reise zur Seligsprechung unseres geliebten Papstes einbringen.“ Doch nicht nur bei Victoria Travel war das Interesse bescheiden: Bis Mitte der Woche waren bei Polens Pfarreien ca. 34.000 Pilger angemeldet. Erwartet werden samt Individualreisenden im Vatikan am Sonntag 80.000 Polen. Doch noch vor Monaten hatte man mit mindestens einer Viertelmillion Pilger aus der Heimat Johannes Pauls II. gerechnet.

Eine Romfahrt begünstigen würde der polnische Nationalfeiertag, der das erste Maiwochenende bis Dienstag verlängert. Doch die Polen bleiben diesmal, im Gegensatz zu den letzten Stunden von Johannes Paul II. und zu dessen Begräbnis im April 2005, zu Hause.

„Papstläufe“ für Fromme

Dort beginnen die Feierlichkeiten jedoch schon am Samstag. In vielen polnischen Städten werden zu Ehren Karol Wojtylas Picknicks für Kinder und sportliche „Papstläufe“ veranstaltet. In Warschau soll vor dem monumentalen neuen „Tempel der Göttlichen Vorsehung“ im Stadtteil Wilanow gar eine Papst-Dampflok polnische Kinder auf verschiedene Stationen führen, wo sie mit dem Leben Johannes Pauls II. vertraut gemacht werden.

Am Sonntag werden an öffentlichen Plätzen und vor vielen Kirchen – ähnlich wie während Johannes Pauls Polenreisen üblich – Großbildschirme aufgestellt, auf denen Gläubige die Direktübertragung aus dem Vatikan gemeinsam im Freien verfolgen können.

„Erinnert euch daran, dass dieser Fernsehgottesdienst nicht als Sonntagskirchgang gilt“, mahnte in der Vorwoche ein Priester im Warschauer Stadtteil Praga. Er forderte seine Kirchengemeinde dazu auf, in der Nacht auf den 1.Mai für Johannes PaulII. in seiner Kirche zu beten. Nach der Seligsprechung soll in Warschau sogar ein echtes Papamobil durch die Straßen kreuzen. In anderen polnischen Städten erinnern derweil Multimediashows an die wichtigsten Stationen früherer Papstbesuche. So etwa in Krakau, Johannes Pauls einstiger Bischofsstadt, die er immer besonders gern besuchte.

Die Lehren und Ermahnungen Johannes PaulsII. würden sich die Polen unterdessen weit weniger als zu seinen Lebzeiten zu Herzen nehmen, stellen viele Kirchenexperten immer wieder fest. Die unmittelbar nach seinem Tod sehr starke Jugendbewegung „Generation JP2“ ist heute in der Öffentlichkeit auch kaum mehr sichtbar.

Keuschheit zieht nicht mehr

Katholische Lehren wie das voreheliche Keuschheitsgebot gelten selbst unter seinen glühendsten jungen Fans nur noch wenig. Auch nimmt der sonntägliche Kirchenbesuch in Polen seit Jahren ab – natürlich besonders unter der Jugend. Genauso übrigens wie Neuberufungen zum Priesteramt oder Klostereintritte.

Viel Einfallsreichtum zeigen polnische Popstars und Werbestrategen indes bei der Vermarktung Johannes PaulsII.: Plattenaufnahmen werden ihm gewidmet und mit seinem Antlitz verziert. Ein Lebensmittelhersteller hat dieser Tage sogar die berühmten Papst-Cremeschnitten aus seiner Geburtsstadt Wadowice als Fertigprodukt auf den Markt geworfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2011)

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