"Zeitung des Jahres": So teuer wie ein großes Eis

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Die dänische Tageszeitung "Politiken" wird auf dem am Montag startenden European Newspaper Congress in Wien zur "Zeitung des Jahres" gekürt. Das Blatt wird nicht nur für sein hervorragendes Design geehrt.

Im legendären „Eckzimmer“ mit Blick auf den Kopenhagener Rathausplatz ist der neue Chef eingezogen. Dort, wo 17Jahre lang Tøger Seidenfaden als Chefredakteur der Tageszeitung „Politiken“ residierte, bis er im Jänner mit 53 einem Krebsleiden erlag, sitzt seit ein paar Tagen Bo Lidegaard. Ein Historiker mit anerkannt guter Schreibe, einer Karriere in Diplomatie und Staatskanzlei, aber begrenzter journalistischer Erfahrung. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis er den Status seines Vorgängers erreicht, denn ein „Leuchtturm“ wie der Verstorbene lasse sich nicht so einfach ersetzen, sagt Lars Grarup, der mit Seidenfaden und Nachrichtenchefin Anne-Mette Svane in der dreiköpfigen Chefredaktion saß.

Seidenfaden war ein Symbol für „Politiken“, was auch die Ausgabe am Tag nach seinem Tod zeigte: Die Titelseite zierte eine Karikatur seines prägnanten Eierkopfs – und die Leitartikelspalte, in der der streitbare Publizist sonst Intoleranz und Stupidität wortreich anprangerte, war leer. Für einen Tag schwieg „Politiken“. Titelseiten wie diese haben das Kopenhagener Blatt zu etwas ganz Eigenem gemacht. Auf dem heute, Sonntag, startenden European Newspaper Congress im Wiener Rathaus, bei dem „Die Presse“ Medienpartner ist, wird „Politiken“ zu „Europas Zeitung des Jahres“ gekürt. Das dänische Blatt wird aber nicht nur für hervorragendes Design geehrt, sondern auch für herausragenden Journalismus, der Geld bringt.


News and Views. Als „Politiken“ das ausweglose Schicksal von Flüchtlingskindern in dänischen Asyllagern aufzeigte, knallten die Layouter große Porträtfotos auf die Titelseite. Die Augen der Kinder sagten mehr als jeder Text. Für eine Reportage über Hühner in Legefabriken zeichneten die Grafiker ein schwarzes Viereck, einen halben Quadratmeter groß, darin zwei Abdrucke von Hühnerfüßen: So viel Platz hat ein Huhn in einer Legebatterie, stand daneben. Zwölf Fotografen und sechs Zeichner gehören zum knapp 200Mitarbeiter großen Redaktionsstab. Auch journalistisch setzt das Blatt Maßstäbe. Jahrelang war die Zeitung das einzig echte Gegengewicht zur klein karierten Denkart im bürgerlich-populistischen Dänemark, von der sich die politische Opposition nur allzu willig anstecken ließ.

„50 Prozent News, 50 Prozent Views“ ist die interne Leitlinie, die Meinungselemente sind zum Markenzeichen geworden. So wie die Satirespalte auf der Rückseite, in der die übrige Zeitung gönnerhaft als „unsere Beilage“ bezeichnet wird. Man kann mit „Politiken“ einig sein oder nicht, aber man kann die Zeitung nicht ignorieren. Als Dänemarks Militär die Kriegserinnerungen eines Elitesoldaten verbieten lassen wollte, druckte „Politiken“ das ganze Buch als Beilage. In der Krise um die umstrittenen Mohammed-Karikaturen des (im selben Verlag erscheinenden) Konkurrenten „Jyllands-Posten“ war „Politiken“ die Stimme derer, die – ohne das Recht auf die Publikation infrage zu stellen – die Zeichnungen für eine dumme und unnötige Provokation hielten. Als die Regierung begann, Flüchtlinge nach Irak zurückzuschicken, schlug „Politiken“ die Errichtung eines „Irak-Zentrums“ vor, mit dem man den Bedrohten Jobs und Bleibe in Dänemark verschaffen wollte. Die Regierung hintertrieb das Vorhaben. „Politikens“ Gegner fluchten, die Leser, die meisten zumindest, jubelten. „Es gibt keine Zeitung, bei der die Identifizierung mit dem Blatt so stark ist wie bei uns“, sagt Grarup.


»Melk-Kuh« Papierzeitung. Das soll auch Internetauftritt und iPhone-App prägen. 50 Journalisten arbeiten, völlig getrennt von der „Papierredaktion“, für die Online-Ausgabe. Es ist die größte Internetplattform unter den seriösen Medien, auch wenn sie viel weniger Klicks als die Boulevardzeitungen aufweisen kann. „Wir haben aber auch keine Galerien mit nackten Frauen“, sagt Designchef Søren Nyeland.

Die Werbeeinnahmen im Internet gingen, nach einem Einbruch 2008, wieder nach oben, sagt Digitalchef Anders Emil Møller. Sie steuern aber nur zehn Prozent zum Gesamtergebnis bei. Die „Melk-Kuh“ ist die Papierzeitung, und das trotz einer sinkenden Auflage: Während sie in den 1970ern noch bei 250.000 verkauften Stück lag, hat sie sich heute zwischen 100.000 und 125.000 Stück (am Wochenende) eingependelt. Dennoch erreichte „Politiken“ 2010 das „beste Ergebnis seiner Geschichte“. Dank der vielen großformatigen Anzeigen. Am Wegbruch der Kleininserate für Häuser, Jobs und Autos litt das Blatt weniger als die Konkurrenz: Sie waren ohnedies keine „Politiken“-Wertmarke.

Während alle anderen großen dänischen Zeitungen auf das kleinere Tabloid-Format umgestellt haben, bleibt „Politiken“ dem Broadsheet treu. „Wir haben experimentiert, aber festgestellt, dass dieses Format zu uns passt,“ sagt Nyeland. Das aufwendige Design, die großzügigen Fotografien, all das wäre im Kleinformat viel schwieriger umzusetzen. „Außerdem haben wir 146 Jahre Tradition mit Preiserhöhungen“, sagt Grarup. „Wir sind eine Qualitätsmarke, und die kostet eben Geld.“ Warum soll eine Tageszeitung billiger sein als ein großes Eis? 23Kronen kostet „Politiken“ im Einzelverkauf, das sind mehr als drei Euro, freitags bis sonntags noch zwei Kronen mehr, die Rabatte auf Abonnements hat man abgeschafft.

Andere Zeitungen bieten neuen Lesern Jahresabos fürs halbe Geld, „bei uns müssen alle 600Euro zahlen oder es bleiben lassen“, sagt Lars Grarup, der in Wien die Auszeichnung „European Newspaper of the Year“ entgegennehmen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.05.2011)

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