Eltern oder Lehrer: Wer ist der Erzieher?

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Eltern und Lehrer klagen, dass sie Aufgaben des jeweils anderen übernehmen müssten - etwa Hausaufgaben oder erzieherische Maßnahmen. Ein Elternkonzept und die Ganztagsschule könnten die Lösung sein.

Eigentlich wollen sie alle das Gleiche: dass das Kind etwas lernt. Bei der Frage nach dem „Wie?“ hört sich die Einigkeit aber schon wieder auf. Die Eltern klagen oft darüber, dass sie schulische Aufgaben übernehmen und – Stichwort Hausübungen – am Nachmittag mit den Kindern lernen müssen. Lehrer hingegen sehen nicht ein, warum sie erzieherische Versäumnisse der Eltern ausbaden sollen. Neu ist das Problem zwar nicht. „Bereits vor 100 oder gar 200 Jahren gab es in pädagogischen Schriften Klagen über schlecht erzogene Schüler“, sagt Tina Hascher, Erziehungswissenschaftlerin an der Uni Salzburg. Allerdings wird das Problem jetzt stärker diskutiert. Einerseits durch die steigende Berufstätigkeit der Frauen, andererseits, weil es kein Tabu mehr ist, über Überforderung zu sprechen.

Und genau darum handelt es sich in den meisten Fällen. Deshalb plädiert Hascher dafür, dass Eltern und Lehrer nicht erst Kontakt suchen, wenn bereits ein Problem vorhanden ist. „Dann ist die Beziehung negativ behaftet, und man macht sich gegenseitig für das Problem, meist schlechte schulische Leistung, verantwortlich“, so Hascher. Hingegen sollten sich beide Seiten ihrer Verantwortung bewusst sein und diese – am besten zu Beginn des Schuljahres – aufteilen. Nur wie sieht sie aus, die richtige Aufteilung zwischen Lehrer- und Elternarbeit? Und lässt sich das überhaupt strikt trennen?

Persönlichkeitsbildung und Werte

Für Markus Neuenschwander ist das sogar notwendig. „Die Schule hat nur Sinn, wenn sie andere Aufgaben als die Eltern übernimmt“, sagt der Schweizer Professor für Pädagogische Psychologie. Demnach ist die Schule für Bildung und Selektion zuständig, die Eltern hingegen für langfristige Bindungen, Werte und Persönlichkeitsbildung. In der Theorie einleuchtend. In der Praxis überlappen sich aber die Wirkungen von Eltern und Lehrpersonen.

Ganz generell beurteilt Neuenschwander die Beziehung zwischen Eltern und Lehrern als gut. „In Einzelfällen kann es aber zu dramatischen Konflikten kommen. Bei jüngeren Lehrern sind Elternkonflikte ein häufiger Kündigungsgrund.“Deshalb plädiert er für ein Konzept der Elterneinbindung mittels Gesprächen, Workshops oder Elternbildung. Immerhin haben Einstellungen und Erziehungsbemühungen der Eltern mit 30 bis 50 Prozent einen wesentlich höheren Einfluss auf Schülerleistungen, als die Art, wie ihre Lehrer unterrichten (rund zehn Prozent).

Eltern müssen in der Schule willkommen geheißen und informiert werden und bei Bedarf Maßnahmen mitbeschließen. Die Einbeziehung der Eltern soll laut Neuenschwander auf einer kindbezogenen, individuellen Ebene basieren. „Die formalisierte Ebene in Form von Elternräten zeigt unseren Daten nach nur wenig Wirkung.“ Auch Michael Schratz, Dekan der Fakultät für Bildungswissenschaften an der Uni Innsbruck, ortet einen erhöhten Bedarf an guter Eltern-Lehrer-Zusammenarbeit.

Er sieht Probleme vor allem historisch begründet. „In englischsprachigen Ländern gehören die Eltern zur Schule dazu. In den USA wurde die Schulpflicht von ihnen gefordert – während sie bei uns gegen den Willen der Eltern, die die Kinder zur Feldarbeit gebraucht haben, eingesetzt wurde.“

Dazu komme, dass Lehrer aufgrund der Halbtagsschule dazu gezwungen seien, gewisse Aufgaben an die Eltern zu delegieren. „Nach den UN-Kinderrechtskonventionen sind Eltern für die Erziehung verantwortlich. Der Staat muss dafür Rahmenbedingungen schaffen“, so Schratz. Derzeit werde der Staat seinen Aufgaben nicht gerecht. Die Folge sind überforderte Eltern und Lehrer, worunter vor allem Kinder aus bildungsfernen Schichten leiden. Eine Lösung sieht Schratz in der Ganztagsschule samt Unterstützungspersonal (Sozialarbeiter, Psychologen) sowie im personalisierten Unterricht und einem verbesserten Dialog zwischen Eltern und Lehrer inklusive gemeinsamer Vereinbarungen.

Hausübungen informieren Eltern

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Bis all das erfüllt ist, müssen sich Lehrer mit erzieherischen Aufgaben und Eltern mit Hausaufgaben herumschlagen. Wobei Letzteres auch gewünscht sein kann. „Bei einem Projekt in der Schweiz wurden die Hausaufgaben abgeschafft und nach zwei Jahren auf Wunsch der Eltern wieder eingeführt“, sagt Neuenschwander. Hausaufgaben seien demnach nach wie vor wichtig – weniger für den schulischen Erfolg, sondern vielmehr, um die Eltern über die Lerninhalte der Kinder zu informieren.

Auf einen Blick

Überforderung ist oft das Resultat einer schlechten Eltern-Lehrer-Zusammenarbeit. Eltern klagen über die Betreuung bei den Hausaufgaben, Lehrer über erzieherische Defizite. Erziehungsexperten raten zur aktiven Einbindung der Eltern und zur Stärkung des Dialoges, und zwar nicht erst, wenn Probleme auftauchen: Allerdings seien tiefgreifende Veränderungen notwendig. Experten fordern etwa die Installierung von Unterstützungspersonal in Form von Schulpsychologen und Sozialarbeitern sowie die Ganztagsschule, damit Lehrer nicht dazu gezwungen sind, Aufgaben an die Nachmittagsbetreuung beziehungsweise die Eltern zu delegieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2011)

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