Ein Prozess, zwei Säle. Mit einem Kunstgriff löste Gerichtspräsidentin Ingeborg Kristen die Probleme mit der Raumnot: Im kleinen Saal 180 wurde verhandelt. Dies wurde in den größten Saal auf Videowand übertragen.
WIENER NEUSTADT/M. S. Weil vergessen worden ist, die Privatbeteiligtenvertreter am vorletzten Verhandlungstag zu Wort kommen zu lassen, wird dies noch gestern, Montag, nachgeholt. So will etwa der Anwalt des Betreibers eines Schweinemastbetriebes ein paar Worte sagen. Tierschützer waren in diesen Betrieb eingedrungen, hatten Schweine freigelassen, um aufzuzeigen, welchem Stress die Tiere ausgesetzt sind. Doch der Anwalt kommt zunächst nicht dazu, etwas zu sagen.
Plötzlich wird nämlich jene Tür, die direkt zum Richtertisch führt, aufgerissen, und ein Konfettiregen ergießt sich über den Tisch. Richterin Sonja Arleth, die sich im Zuge des langen Verfahrens an Aktionismus gewöhnt zu haben scheint, bleibt zwar ganz betont gelassen, an den Fortgang der Verhandlung ist aber nicht zu denken. Die Polizei versucht nun, die noch immer nicht endende Konfettidusche zu unterbinden. Die Beamten haben einige Mühe, die ausführende Aktivistin, die auch laut schreit, zu bändigen und wegzuschleppen.
Im rasch entstehenden Tumult versuchen immer mehr Uniformierte, die kleine Aktivistengruppe rund um die Konfettiwerferin abzudrängen, worauf lautstark „Keine Gewalt“, „Polizisten – Faschisten“ und Ähnliches skandiert wird. Indessen hat sich eine der Angeklagten mitten im Trubel auf einen Sessel gesetzt, während eine Sympathisantin mit schwarzer Brille und pinkfarbener Perücke sich unter diesem Stuhl liegend gegen die Polizei zur Wehr setzt.
Dutzende Schaulustige, Journalisten, Fotografen, Kameraleute versuchen, so nah wie möglich an das Knäuel aus Aktivisten und Polizei heranzukommen, wodurch in Sekundenschnelle eine unüberwindbare Menschenmauer auf dem Gang des Gerichts entsteht. Erst als die Übermacht an Beamten, die es wohlweislich vermeiden, zu hart einzusteigen, die Situation wieder unter Kontrolle hat, kann die Verhandlung fortgesetzt werden.
Etwa 150 junge Leute im Saal
Der Unmut, der sich nach dem Konfettiregen entlädt, hat eine bestimmte Ursache: Die Verhandlung findet im kleinen Saal 180 des Landesgerichts statt. Die relativ schmalen Sitzreihen sind praktisch zur Gänze durch Medienvertreter – und nicht etwa durch Freunde der Angeklagten – besetzt.
Um dem Publikumsansturm gerecht zu werden – und natürlich auch, um der Richterin eine persönliche (und wohl auch lautstarke) Konfrontation mit Kritikern zu ersparen, ist der Große Schwurgerichtssaal zur Public-Viewing-Location umfunktioniert worden: Der Prozess, als er dann weitergeht, wird auf Videowand übertragen.
Die Atmosphäre im großen Saal erinnert stark an eine überfüllte Vorlesung an einer Uni. Etwa 150 Personen, fast durchwegs junge Leute, okkupieren nicht nur die Sitzplätze, sondern auch die Bänke, die ansonsten für die Geschworenen gedacht sind, und auch jene der Anwälte. Nur der Richtertisch muss leer bleiben. Immer wieder brandet nach bestimmten Erklärungen der Richterin Applaus auf.
Die Lösung mit den zwei Sälen hat sich die Gerichtspräsidentin Ingeborg Kristen einfallen lassen, die es sich auch nicht nehmen lässt, höchstpersönlich im Großen Schwurgerichtssaal einen Platz einzunehmen – wenn auch nur einen Stehplatz.