Kleine Diskurslehre am Beispiel der Gemeinwohl-Ökonomie

Was hat Franz Schellhorns Kritik am Modell der Gemeinwohl-Ökonomie noch mit Qualitätsjournalismus zu tun? Eine Replik.

Franz Schellhorn, Leiter des „Presse“-Wirtschaftsressorts, mag also die Gemeinwohl-Ökonomie nicht und bringt diese Abneigung im sonntäglichen „SuperMarkt“ erneut zum Ausdruck („Fidel Castro, der alte Kapitalist“, 24.4.). Allerdings nicht feinfedrig, Sachargument um Sachargument, sondern mit dem Arsenal des Schreckens: „Völkerkerker“, „Massenmörder“, „Totalitarismus“, „Nationalsozialismus“ – die Leserschaft der Presse soll ob des neuen Wirtschaftsmodells offenbar panisch werden, anstatt ruhig zu denken. Die Frage ist, was das mit Qualitätsjournalismus zu tun hat.

Das „liber delicti Gemeinwohl-Ökonomie“, bereits über 10.000-mal verkauft, habe ich mit engagierten UnternehmerInnen und Citoyens ausgearbeitet. In wachsenden Kreisen entwickeln wir das Modell laufend weiter. Laut einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung wünschen sich 90 Prozent der ÖsterreicherInnen eine „neue Wirtschaftsordnung“.

Diesem Wunsch kommen wir nach. Unser Vorschlag ist, dass dieselben Grundwerte, die unsere zwischenmenschlichen Beziehungen gelingen lassen – Vertrauensbildung, Wertschätzung, Kooperation, Verantwortung und Teilen – auch in der Wirtschaft zum Ziel erklärt, gemessen und belohnt werden sollten.

Innovationsfeindliche Ordnung

260 Unternehmen aus sieben Staaten unterstützen das Modell bereits, 70 werden heuer die Gemeinwohl-Bilanz erstellen, in der gesellschaftliche Verantwortung, ökologische Nachhaltigkeit, Arbeitsplatzzufriedenheit, Verteilungsgerechtigkeit und Mitbestimmung gemessen werden.

Schon heute gibt es Sozial-, Umwelt- und ethische Bilanzen, die zusammengefasst und in einem breiten demokratischen Prozess verbindlich gemacht werden sollten. Nach breiter Vordiskussion soll ein Wirtschaftskonvent die Feinarbeit leisten. Mit Kommunismus hat das genauso wenig zu tun wie mit Kapitalismus.

Aber um das unterscheiden zu können, braucht es innovatives und flexibles Denken, das den Verteidigern der Supermarktwirtschaft offenbar nicht gelingt – obwohl sie Innovation und Flexibilität für ihr Modell reklamieren. Die jetzige Wirtschaftsordnung erweist sich als eminent innovationsfeindlich, zumal sie weder die ökologische noch die Verteilungs- oder die Demokratiekrise zu lösen imstande ist.

Kapitalismus hilft nicht weiter

Auch gegen die Sinn- und Wertekrise hilft Kapitalismus nicht, sondern erzeugt sie, weil er allen Wert in Geldwert übersetzt und „Erfolg“ ausschließlich in monetären Größen misst, die nichts über Lebensqualität, Menschenwürde oder Mitbestimmung aussagen.

Die Gemeinwohl-Ökonomie versucht genau dieses Dilemma zu lösen: Private Unternehmen und Wirtschaftsinitiative ja, aber Ziel ist nicht maximaler Finanzgewinn, sondern die Gleichgewichtung sozialer und ökologischer Zielsetzungen mit individuellen Bedürfnissen; Privateigentum ja, aber keine unbegrenzte Macht von Einzelperson oder Unternehmen. Die Eigentumsfreiheit muss genauso begrenzt werden wie alle anderen Freiheiten: Das rechte Maß will gefunden werden – demokratisch.

Franz Schellhorn fährt fort, das sich wachsender Unterstützung erfreuende Modell konsequent mit Castro, Stalin und Hitler zu assoziieren. Auf den Diskussionsbeitrag pro Gemeinwohl-Ökonomie von drei Unternehmern mit bis zu 300 Beschäftigten geht er erst gar nicht ein. Schade, denn eine sachliche Diskussion darüber werden von Tag zu Tag nötiger.

Christian Felber, 38, ist Buchautor und Lektor an der WU Wien.

Franz Schellhorn legt Wert auf die Feststellung, dass er in dem kritisierten „SuperMarkt“-Kommentar Ch. Felber gar nicht erwähnt hat.


E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2011)

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