Klassische Medien als "Lautsprecher" für WikiLeaks

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Am letzten Tag des European Newspaper Congress wurde beim „Editors Forum“ diskutiert, ob die Online-Enthüllungsplattform WikiLeaks von Julian Assange Konkurrent oder doch Partner für herkömmliche Medien ist.

Ist Julian Assange ein Chefredakteur? Und ist seine Online-Enthüllungsplattform ein Konkurrenzprodukt zu klassischen „Holzmedien“? „Das Potenzial ist da“, glaubt Annette Milz vom deutschen Branchenmagazin „Medium“. Sie erinnert aber auch daran, „dass der Durchbruch von WikiLeaks in der öffentlichen Wahrnehmung erst durch die gezielte Kooperation mit drei großen Tageszeitungen gelungen ist“.

Aufdeckerplattformen wie Wiki- oder OpenLeaks liefern also die Daten und eine Menge neues Material, die Journalisten bereiten die Inhalte zu mundgerechten, appetitlichen Häppchen für die Masse auf. Auf diese kurz gefasste „Arbeitsteilung“ konnten sich die Diskutanten beim „Editors Forum“ am European Newspaper Congress einigen. Unter der Moderation von „Presse“-Chefredakteur Michael Fleischhacker diskutierten neben Milz, Martin Staudinger vom „Profil“, Stefan Kornelius, Außenpolitikchef der „Süddeutschen Zeitung“ und Christof Siemes von der „Zeit“.

Siemes sieht einen Zusammenhang zwischen dem Zustand der Medienbranche und dem Aufkommen von WikiLeaks: „Wer kann sich in den Zeitungsverlagen noch harte, lang dauernde, investigative Recherche leisten? WikiLeaks kam also in einem Moment unserer Schwäche mit dieser Idee.“ Das „Ökosystem Journalismus“ sei damit neu aufgestellt worden. „Wir sind die Lautsprecher für andere, die etwas herausgefunden haben.“ Das Phänomen WikiLeaks gebe Redaktionen aber auch eine Hausaufgabe mit, glaubt Milz: „Man muss sich fragen, wie Medien solche Mechanismen selbst in die Hand nehmen können.“ Nationale Kopien von Verlagen, etwa bei der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (oder auch beim österreichischen „Kurier“), gibt es, Stefan Kornelius hält den Versuch der „WAZ“ für gescheitert.

Martin Staudinger steht den WikiLeaks-Enthüllungen kritisch gegenüber. Gerade die jüngst veröffentlichten Guantánamo-Files hätten gezeigt, dass „ganz, ganz wenig drin steht, was wir nicht schon wussten“. Die Frage der Transparenz und Verfügbarkeit von Daten und Informationen im Internet sieht Annette Milz als besondere Herausforderung: „Auf diesem Gebiet gibt es bei uns Journalisten Wissenslücken – das zeigt: Es braucht mehr Spezialisten in den Redaktionen.“ awa

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2011)

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