Bin Ladens Vermächtnis ist der drohende Überwachungsstaat

(c) AP (Gene J. Puskar)
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Die lange Suche nach dem Terrorpaten zeigt, dass echte Verschwörer staatlicher Generalüberwachung leichter entgehen als unbescholtene Bürger und Tierschützer.

Leitartikel

Als sogenannter Datenschützer lief man in den vergangenen Jahren Gefahr, als niedliche Variante des besorgten Bürgers wahrgenommen zu werden. Wer vor behördlichem Generalverdacht, Datensammelwut und Spitzelstaat warnte, geriet schnell ins Visier jener, die diese Entwicklung vorantrieben und Widerstand nicht dulden.

Datenschutz ist Täterschutz. So lautet der präzise formulierte Schlachtruf derer, die ihren Schäfchen lieber einmal zu oft als einmal zu wenig mittels Telefon-, Internet- oder Videoüberwachung auf die Finger schauen. Die Welle von Sondergesetzen und Ausnahmegenehmigungen zur Durchleuchtung der eigenen Bürger setzte unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11.September 2001 ein. Ausgehend von Washington schwappte sie über den gesamten Erdball, überrollte Brüssel mitsamt dem Rest der sogenannten zivilisierten Welt und kam – spät, aber doch – vergangene Woche in Form der Vorratsdatenspeicherung in Wien an.

Dabei zeigt nun ausgerechnet die Ausforschung und Tötung jenes Mannes, der als Drahtzieher von 9/11 zur Argumentation nahezu aller staatlichen Begehrlichkeiten herhalten musste, dass die Idee von der totalen Kontrolle des Bösen durch Überwachung ein Irrlicht ist. Es sind nicht die Terroristen und Schwerstkriminellen dieser Welt, die sich im digitalen Netz der Hightech-Polizei verstricken. Es sind ganz normale Bürger, denen es einfach zu viel Aufwand ist, ihre alltägliche Kommunikation konspirativ zu organisieren.

Osama bin Laden und seinesgleichen wissen das. Wie nun bekannt wurde, handelte der Terrorpate auch danach und vermied es penibel, digitale Spuren zu hinterlassen. Ob er verärgert war, deshalb kein Profil auf Facebook unterhalten zu können, ist nicht überliefert. Sinnvoll war die Verweigerung moderner Kommunikation allemal. Seine Villa im pakistanischen Abbottabad, in der er mehrere Jahre lang gelebt hat, soll weder über einen Telefon- noch über einen Internetanschluss verfügt haben. Der al-Qaida-Chef nutzte seinen PC so, wie man es im Rest der Welt zuletzt im vergangenen Jahrtausend tat: offline.

Die Geschichte gab ihm recht. Viele lange Jahre suchten die USA mit ihren weltweit operierenden Geheimdiensten und Überwachungsnetzen ohne Erfolg. Letztendlich entscheidend war die Methode der guten, alten Observation eines Boten, mit dessen Hilfe der Terrorchef mit der Welt Kontakt hielt. Und die Folter jener Gefangenen, die im Dezember 2001 in das Militärgefängnis Guantánamo verschleppt wurden und den Namen von bin Ladens sprichwörtlichem Laufburschen angeblich verrieten: Scheich Abu Ahmed, genannt der „Kuwaiter“.

Es stimmt schon: Es war eine abgehörte Telefonleitung, in die sich Abu Ahmed eines Tages und unvorsichtigerweise einklinkte. Die CIA brauchte ihn nur noch aufzuspüren und ihm bis zu bin Ladens Haus zu folgen. Geschehen ist das, weil der „Kuwaiter“ einen seiner seltenen Fehler machte, und nicht, weil gesetzlich verordnetes Mitlauschen automatisch zum Erfolg führt. Auch der erst am Montag spektakulär beendete Prozess gegen die (nicht rechtskräftig) freigesprochenen Tierschützer hat eindrucksvoll gezeigt: Hier setzte der Staat auf Basis eines vagen Verdachts alle zur Verfügung stehenden Überwachungsmethoden ein.

Die Gefahr, als gutgläubiger Bürger ins Visier der Behörden zu geraten, ist größer. Während die eigentlichen Zielpersonen auf Anonymisierungsdienste, Verschlüsselungsverfahren oder – wie bin Laden – Technikabstinenz setzen, dürfen Staatsanwaltschaft und Polizei künftig ziemlich unkompliziert erfahren, wer wann und von wo aus mit wem via E-Mail oder Telefon Kontakt hatte.

Niemand, der an der Verfolgung von Terroristen und Schwerstkriminellen interessiert ist, wird dem Staat ausreden wollen, auf technische Ermittlungsmethoden zurückzugreifen. Die aktuellen Ereignisse zeigen aber, dass hysterische Sicherheitsgesetzgebung auch über das Ziel schießen kann. Wer über genug kriminelle Energie verfügt, kann sich dem behördlichen Auge mit etwas Aufwand entziehen. Dem technisch unbedarften Bürger ist das nicht möglich. Das ist ein Teil des Erbes von Osama bin Laden.

E-Mails an: andreas.wetz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2011)

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