Journalisten als „Schoßhündchen, Straßenköter und Wachhunde“

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Investigative Recherche. Das „Aufdecken“ ist vor allem dann Sache der Medien, wenn staatliche Instanzen versagen. Oder wegschauen.

Um den investigativen Journalismus in Österreich besser ergründen zu können, empfiehlt sich ein Blick zurück. Der legendäre österreichische Reporter Max Winter (1870–1937), später sozialdemokratischer Politiker, schrieb Sozialreportagen, die über das Beschreibende weit hinausgingen. Sie deckten Missstände auf. Da war etwa Winters 1902 erschienene Reportage „Ein Strottgang durch Wiener Kanäle“, die von den „Kanalstrottern“ zeugte, die Fett und Knochen aus der Kanalisation sammelten und das Gefundene an Seifenhersteller verkauften. Winter war beim Recherchieren als Strotter verkleidet.

Und da war Victor Adler (1852–1918). Der vermögende Augenarzt, einer der Gründerväter der SPÖ, schrieb etwa 1888 eine Serie über die Zustände in den Wienerberger Ziegelwerken. Auch er ließ sich, als Ziegelarbeiter getarnt, auf das Areal einschleusen. Und deckte etwa die „Blechwirtschaft“ auf: Arbeiter erhielten zum Teil nur Geldersatz, ein Zahlungsmittel, das nur innerhalb der Fabrik galt.

Blickt man nun in die jüngere Zeitgeschichte, so stößt man beispielsweise auf den Namen Hans Pretterebner. Dieser befasste sich als freier Publizist in eingehenden investigativen Recherchen – übrigens ebenso wie Gerald Freihofner („Wochenpresse“) – mit dem Untergang des Schiffes „Lucona“ und enthüllte dabei die unerträgliche Nähe führender österreichischer Politiker zu einem gewissen Udo Proksch. Diese Arbeit bereitete den Boden für eine Verurteilung des Zuckerbäckers Proksch wegen sechsfachen Mordes zu lebenslanger Haft. Sechs Seeleute waren bei der Explosion der „Lucona“ gestorben, die entgegen der von Proksch aufgetischten Version keine teure Fracht geladen hatte, wodurch es Proksch letztlich auch nicht gelang, an eine hohe Versicherungssumme heranzukommen.

Vom AKH-Skandal zu „Lucona“

Gar als „Aufdecker der Nation“ wurde Alfred Worm – er starb 2007 – bezeichnet. Mit der Enthüllung des AKH-Skandals (Manager hatten beim Bau des Allgemeinen Krankenhauses Schmiergelder in Millionenhöhe kassiert) im Jahr 1980 setzte der österreichische Journalismus auf gewagte Art (Worm erklärte später, dass auf einem Tonband, dass er als Druckmittel eingesetzt hatte, kaum etwas Verwertbares aufgenommen war) einen Fuß in die Tür der „Mächtigen“. Das wöchentliche Erscheinen des Magazins „Profil“, für das Worm arbeitete, wurde ab sofort von der Politik mit – berechtigtem – Bauchweh erwartet.

Und heute? An bestimmten Begleiterscheinungen hat sich all die Jahre hindurch nichts geändert: Journalisten, die investigativ arbeiten, brauchen Sachkenntnisse, Einfühlungsvermögen, viel Zeit, gute Nerven – und Glück. Die unvermeidlichen Leerläufe, ehe endlich wieder etwas aufgedeckt wird, müssen innerhalb diverser Redaktionen mitunter regelrecht erkämpft werden. Aber eben dies lohne sich, findet ein Mann, der sich in den vergangenen Jahren einen Ruf als Lieferant brisanter Exklusiv-Storys erworben hat: Florian Klenk von der Wiener Wochenzeitschrift „Falter.“

„Es ist nicht allein das Managen von Inhalten, es sind die eigenständigen Recherchen, die eine Zeitung herausragend machen.“ Innerhalb der Kollegenschaft gebe es „die Schoßhündchen, die Straßenköter und die Wachhunde“. Erstere würden sich „an die Macht anschmiegen“, zweitere seien als „entfesselter Boulevard“ zu sehen – und nur die dritte Gruppe habe Glaubwürdigkeit im Bereich der investigativen Recherche.

Derzeit, so Klenk, erlebe das Aufdecken in Österreich „eine Blüte“. Tatsächlich: Gerade in Zeiten einer eher schwachen Justiz springen (siehe Korruptionsaffäre um Ernst Strasser) Journalisten in die Bresche. Doch es sei Wachsamkeit geboten, denn: „Politiker und Behörden fangen schon wieder an nachzudenken, wie man dem Aufdecken ein Ende setzt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2011)

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