Seit rund zehn Jahren fährt die U3 bis Simmering. Die Geschäfte konnten davon kaum profitieren. "Für die Geschäftswelt war die U-Bahn gar nicht so gut", sagt Bezirksvorsteherin Renate Angerer.
Wien. Der 2.Dezember 2000 war das magische Datum. Seit diesem Tag fährt die U3 bis Simmering, als letzter Wiener Bezirk bekam man endlich den ersehnten U-Bahn-Anschluss. Schnell machte sich die Bevölkerung auf, die U-Bahn zu nützen, fuhr zum Shopping in die Innenstadt oder auf die Mariahilfer Straße. Und ließ auf der Simmeringer Hauptstraße eher ratlose Geschäftsleute zurück.
„Für die Geschäftswelt war die U-Bahn gar nicht so gut“, sagt Bezirksvorsteherin Renate Angerer. Die Simmeringer Hauptstraße, ohnehin nie die klassische Einkaufsstraße, verlor zunehmend an Frequenz. Gerade einmal die Umgebung des Einkaufszentrums Simmering (EKZ) war noch belebt. Allein die U-Bahn war allerdings nicht unbedingt schuld daran. Einige Unternehmen waren schon vor dem U-Bahn-Bau verschwunden. Und etliche kleinere Betriebe sperrten, weil sie für ihre Geschäfte keine Nachfolger mehr fanden.
Ende der dörflichen Struktur
Unabhängig von der U-Bahn verlief auch der Niedergang des Simmeringer Markts. Erst saugten das Anfang der 1980er eröffnete EKZ und andere Supermärkte die Kundschaft ab, schließlich versetzte die Eröffnung eines Fischgeschäfts im EKZ dem Markt den finalen Todesstoß. Auch andere Frequenzträger gingen verloren: So litten etwa die Geschäfte in und um die Hauffgasse, als das Postamt aufgelassen wurde. Mit dem brachliegenden Markt und den leeren Geschäften auf der Hauptstraße verschwand schließlich die ehemals dörfliche Struktur Ende der 1990er vollends.
Aufgefüllt wurde das unternehmerische Vakuum vor allem von der türkischen Community. Kebabbuden, Bäckereien und Gemüsegeschäfte prägen seither das Bild des Bezirks – besonders im Bereich zwischen Grillgasse und Braunhubergasse. Dazu kommen Call-Shops und Wettbüros.
Vor allem jene Menschen, die schon länger in Simmering lebten, fanden ihre ehemals vertraute Geschäftswelt plötzlich nicht mehr. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Anteil der Menschen ausländischer Herkunft mit 32,39 Prozent sogar unter dem Wien-Schnitt (33,44 Prozent) liegt.
„Das ist vermutlich das einzige große Problem, das wir haben“, sagt Bezirksvorsteherin Angerer. Nämlich, dass die Simmeringer nicht mit der Umstellung zurechtkommen. Und dass es – nicht nur unter den „Ausländern“ – viele sozial Schwache gibt. Ein Problem, das sich in Unzufriedenheit und bei der Wahl vergangenen Oktober im wienweit höchsten Zuwachs für die FPÖ manifestiert hat.
Immerhin, einiges hat sich schon verbessert. Dass etwa Waren in türkischen Geschäften nicht auf Deutsch angeschrieben sind, kommt kaum mehr vor. Auch ist – zumindest bei den zahlreichen Friseuren und Juwelieren – das Bewusstsein gestiegen, dass eine gepflegte Fassade viel zum Wohlfühlen beiträgt. Doch beschränken sich viele Maßnahmen vor allem einmal auf die Optik.
Der jüngste Bezirk
Wobei, auch sie kann das Lebensgefühl maßgeblich beeinflussen. Dass etwa das ehemalige Mautner-Markhof-Gelände über rund zehn Jahre brachgelegen ist und von einer Mauer abgeschottet war, hat das Bild des Bezirks deutlich geprägt – schließlich ist es das erste Bild beim Aussteigen auf dem Enkplatz. Ende des Jahres beginnen hier Bauarbeiten für eine Wohnsiedlung. Danach soll das Gebiet offen und durchgängig sein. Zusätzlich soll ein Jugendgästehaus mit Café dafür sorgen, dass vermehrt junges und urbanes Leben einzieht.
Wobei, mit der Jugend hat der Bezirk eigentlich gar nicht so ein Problem, schließlich ist Simmering mit einem Durchschnittsalter von 39 Jahren der jüngste Bezirk der Stadt. Was unter anderem dem Zuzug von Jungfamilien in die Stadterweiterungsgebiete auf dem Leberberg zuzuschreiben ist. Genau dort hapert es aber mit dem Urbanen – denn verkehrstechnisch ist der Bezirksteil Kaiserebersdorf weit davon entfernt, öffentlich gut angeschlossen zu sein. Mit Straßenbahn und Bus muss man sich über lange Strecken begnügen, um einmal bis zur U-Bahn zu gelangen.
Die Chancen, dass sie in absehbarer Zeit nach Kaiserebersdorf verlängert wird, stehen schlecht. Auf der Agenda der U-Bahn-Ausbauten rangiert das Projekt weit hinten. Die Bewohner von Kaiserebersdorf müssen sich – wie auch die Besucher des Zentralfriedhofs – weiter mit der Straßenbahnlinie 71 behelfen. Wenigstens diese durchzieht den Bezirk noch als Lebensader – und sorgt an der Oberfläche für ein wenig Frequenz.
Bisher erschienen: Ottakring (19.4.), Floridsdorf (22.4.), Donaustadt (28.4.), Favoriten (5.5.).
Auf einen Blick
Simmering hat 90.727 Einwohner (Stand: 1.1.2011). 32,39 Prozent sind ausländische Staatsangehörige oder im Ausland geborene Inländer. Mit 23,27 km2 zählt der Bezirk im Südosten Wiens zu den sogenannten Flächenbezirken.
Politisch ist Simmering traditionell sozialdemokratisch dominiert, allerdings stürzte die SPÖ im Jahr 2010 um rund zehn Prozentpunkte auf 47,94 Prozent ab, die FPÖ konnte auf 37,14 Prozent zulegen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2011)