Für immer Türke?

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Der türkische Staat will die Auslandstürken nicht loslassen und vereinnahmt die Diaspora mit Worten und Vereinen. Gerade in der türkischen Community ist die Verbundenheit zur alten Heimat besonders stark.

Wien. „Türkiye! Türkiye!“ Als der türkische Präsident Abdullah Gül zuletzt in Wien aus dem Auto stieg, um einen türkischen Verein zu besuchen, klatschten an die hundert Anhänger und Schaulustige aus der türkischen Community begeistert und jubelten ihm zu. „Unser Präsident“ ist da. Ähnlich frenetisch war Recep Tayyip Erdoğan im Februar in Deutschland empfangen worden. „Unser Ministerpräsident“, stand auf Plakaten zu lesen. Auf Türkisch.

Ereignisse wie diese zeigen eines deutlich: Gerade in der türkischen Community ist die Verbundenheit zur alten Heimat besonders stark. Ein Befund, der sich auch in Zahlen fassen lässt: Eine GfK-Umfrage aus dem Vorjahr ergab, dass sich rund 70 Prozent der Menschen aus der türkischen Community eher der Türkei zugehörig fühlen als Österreich.

Der übliche Reflex angesichts derartiger Zahlen zielt in Richtung Integrationsunwilligkeit der Türken: Dass die Migrantengruppe generell Schwierigkeiten hat, mit der Aufnahmegesellschaft warm zu werden. Weitgehend unbeachtet bleibt dabei aber der Aspekt, dass die Türkei selbst massiv darauf bedacht ist, den Stolz auf die alte Heimat anzufachen und die Bande zur Diaspora nur ja nicht zu lose werden zu lassen.

„Ihr seid meine Landsleute“

Das beginnt schon bei der Rhetorik der offiziellen türkischen Vertreter. Sichtbar wird das etwa dann, wenn Botschafter Kadri Ecvet Tezcan in einem „Presse“-Interview vergangenen Herbst seine Zuständigkeit für 250.000 Türken in Österreich betont – und dabei implizit auch die Vertretung der bereits eingebürgerten oder hier geborenen Bevölkerung beansprucht.

Ins gleiche Horn stieß Ministerpräsident Erdoğan bei seinem Besuch in Düsseldorf, bei dem er rund 10.000 jubelnde Deutschtürken als „meine Landsleute“ bezeichnete. All das sind Zeichen dafür, dass die Türkei es auch nach fünf Jahrzehnten Migrationsgeschichte nach Europa nicht geschafft hat, ihre Diaspora loszulassen. Oder das auch gar nicht will.

Die Gründe dafür sind mehr oder weniger offensichtlich. Zum einen steckt dahinter der durch Staatsgründer Kemal Atatürk geprägte Nationalismus, der sich durch die Zugehörigkeit zum Türkentum definiert – auch jenseits der türkischen Landesgrenzen. Zum anderen ist eine gut aufgestellte Diaspora auch ein wichtiger Außenposten, der bei der Durchsetzung wirtschaftlicher und politischer Interessen hilfreich sein kann. Und – gerade angesichts der kommenden Wahl in der Türkei am 12.Juni interessant – die rund fünf Millionen türkischen Staatsbürger im Ausland stellen ein beträchtliches Wählerpotenzial dar.

Imame aus Ankara

Wie sehr die offizielle Türkei Einfluss auf die Auslandstürken nimmt, lässt sich auch abseits bloßer politischer Rhetorik beobachten. So untersteht etwa die größte türkische Vereinigung des Landes, die Atib, direkt dem türkischen Amt für Religionsangelegenheiten (Diyanet). Die Imame dieser Moscheen werden von Ankara entsandt – und nach fünf Jahren wieder zurück in die Türkei geholt. Der Anreiz für die Prediger, sich in dieser Zeit mit der österreichischen Gesellschaft auseinanderzusetzen, ist dementsprechend gering.

Andere Vereine und Organisationen sind im weitesten Sinne regionale Außenstellen von Parteien und Bewegungen aus der Türkei. Die Islamische Föderation, zum Beispiel, ist zwar eine in Europa entstandene Bewegung (in Deutschland unter dem Namen „Milli Görüs“), in ihrer Ausrichtung orientiert sie sich allerdings an den Ideen des im Februar verstorbenen islamisch-nationalistischen Politikers Necmettin Erbakan. Zuletzt veranstaltete die Föderation Anfang Jänner in Wien eine Buchmesse. Im Fokus der ausgestellten Bücher standen die türkische Nation und der Islam.

Wie sehr die Türkei auch die Auslandstürken als Teil der Nation sieht, zeigt auch der umstrittene Paragraf 301 des türkischen Strafgesetzbuches. Denn die Beleidigung und Herabwürdigung der türkischen Nation steht für Türken und Türkischstämmige unter Strafe – auch außerhalb der Türkei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2011)

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