EU-Parlament für offene Grenzen

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Heftiger Widerstand gegen eine vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Keineswegs soll hingenommen werden, dass die Kommission ohne Parlamentarier Änderungen am Vertrag durchsetzt.

Strassburg/Brüssel. Das europäische Parlament reklamierte sich am Dienstag bewusst und mit Vehemenz in die Schengen-Debatte hinein. Man will es keineswegs hinnehmen, dass die Kommission Änderungen am Vertrag durchsetzt, ohne dass die Parlamentarier einbezogen werden. Einen derartigen Angriff auf eine der Grundsäulen Europas, die Reisefreiheit, könne man nicht als simple Auslegungssache vorhandener Gesetze betrachten. Außerdem ist eine große Mehrheit der Abgeordneten ohnehin dagegen, dem durchsichtigen und innenpolitisch motivierten Manöver der Italiener und Franzosen nachzugeben. Sie treten gegen eine erleichtere Wiedereinführung von Grenzkontrollen ein.

Ihr Nein zu einer Schengen-Reform brachten die EU-Parlamentarier Kommissionspräsident José Manuel Barroso höchstpersönlich nahe, der dafür eigens aus Brüssel nach Straßburg zitiert wurde. Was eine Rückkehr zu Grenzkontrollen zwischen den Schengen-Ländern für die Exportwirtschaft, den Tourismus und die Verkehrssituation bedeuten würde, könne sich wohl jeder selbst vorstellen, so SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried. Das Recht der EU-Bürger, sich frei bewegen zu können, stehe auch überhaupt nicht zur Disposition, versicherte Barroso. Bei 1,5 Milliarden Reisen, die jährlich in Europa getätigt werden, sei das nicht sinnvoll. Die Schengen-Vereinbarung werde aber seit Längerem evaluiert. Man werde alles prüfen, nicht improvisieren und nicht dem Druck einzelner Länder nachgeben.

Die meisten österreichischen Abgeordneten, die in Fragen der Ausländerpolitik selten an einem Strick ziehen, waren sich diesmal übrigens einig. Das italienisch/französische Lamento über ihre Probleme mit Nordafrika-Flüchtlingen schafft es sogar, Rot, Schwarz und Grün unter einen Hut zu bringen. Hannes Swoboda (SPÖ), Vizefraktionschef der europäischen Sozialdemokraten und an sich kein Hardliner in Migrationsfragen, vertritt in dieser Sache mittlerweile exakt die Ansicht von Ex-Innenministerin Maria Fekter (ÖVP): „Es gibt keine Millionen Flüchtlinge. Bis jetzt sind es bloß 20.000.“ Da brauche man eine Aufteilung auf ganz Europa wohl nicht diskutieren. Österreich habe zudem einen der höchsten Ausländeranteile Europas und eine akzeptable Asylanerkennungsquote. Was auch ÖVP-Abgeordneter Hubert Pirker so sieht. Er hält die Aufregung der Italiener für übertrieben, die Debatte für überflüssig und das Problem mit den vorhandenen Rechtsmitteln für lösbar.

Rot und Grün drängen allerdings darauf, dass die EU weitergeht und eine gemeinsame Migrationspolitik umsetzt. Einzelstaatlich sei das nicht mehr zu lösen. Die Grüne Ulrike Lunacek hält etwa das Dublin-II-Übereinkommen für widersinnig, weil man Flüchtlinge nicht immer an die europäischen Grenzstaaten zurückschicken könne.

Deutschland für Schengen-Reform

Deutschland stellte sich in der Frage der Reform des Schengen-Vertrags vor dem Sondertreffen der Innenminister am Donnerstag dezidiert an die Seite der französischen Regierung. „Wir unterstützen die Initiative Frankreichs“, sagte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in einem Interview mit der französischen Tageszeitung „Le Figaro“. Der Schengen-Vertrag leide unter einer Lücke: „Er sieht den Fall nicht vor, dass ein Mitgliedstaat seine Verpflichtung nicht wahrnimmt, seine Außengrenzen zu schützen.“ Die Innenminister werden am Donnerstag den Vorschlag von Cecilia Malmström, der Kommissarin für Inneres, besprechen, wie sich diese Lücke schließen lässt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2011)

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