Die EZB muss ihre Inflationsprognose deutlich nach oben korrigieren, und zwar für das Gesamtjahr 2011 auf 2,5 Prozent. Analysten schlagen bereits Alarm, der IWF sieht hingegen keinen Grund zur Sorge.
Wien/Stef/Ju/Juk. Mit einer überraschenden Einschätzung der Wirtschaftslage in Europa ließ der Internationale Währungsfonds (IWF) in seiner aktuellen Prognose aufhorchen: „Die Hauptnachricht ist, dass wir ziemlich zuversichtlich sind“, schreiben die Analysten aus Washington. „Europa steht relativ gut da.“
Zwar warnt die Organisation davor, dass die Schuldenkrise Griechenlands, Irlands und Portugals „auch andere Euroländer anstecken könnte“ und deshalb ein „Risiko darstelle.“ Doch das Problem der steigenden Preise, vor dem Experten seit Monaten warnen, bereitet dem IWF keinerlei Sorge. Es handle sich dabei um ein „temporäres Phänomen“.
Die EZB verfehlt ihr Ziel klar
Dabei hängen diese beiden Punkte direkt zusammen. In Europa dominiert die Angst, das ohnehin schwache Wirtschaftswachstum zu erdrücken und den Schuldenabbau nicht zu schaffen. Deshalb versorgen die Zentralbanken die Märkte mit billigem Geld. Das soll der Konjunktur helfen – ein Plan, der zum Teil aufging. Die Konsumenten spüren die Folgen des billigen Geldes jedenfalls – in Form steigender Preise.
So hat die EZB am Donnerstag ihre Inflationsprognose für das Gesamtjahr 2011 deutlich auf 2,5 Prozent nach oben korrigieren müssen. Bislang war die Zentralbank von 1,9 Prozent ausgegangen. Der IMF erwartet eine Teuerung von 2,3 Prozent für die Eurozone, die Erste Bank 2,6 Prozent.
Klar ist: Die EZB wird 2011 ihr zentrales geldpolitisches Ziel klar verfehlen. „Das Hauptziel ist Preisstabilität. Die EZB zielt auf Inflationsraten von unter, aber nahe zwei Prozent ab“, heißt es auf der Homepage der Zentralbank.
Dabei ist die „gefühlte Inflation“ der Konsumenten in der Eurozone deutlich höher. Der wöchentliche Einkauf verteuerte sich im März und April in Österreich und Deutschland um mehr als sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Einzig die – von vielen Experten als realitätsfern bezeichnete – Gewichtung des offiziellen Warenkorbs ist dafür verantwortlich, dass die offizielle Inflationsrate nicht in ähnliche Dimensionen vorgestoßen ist.
Bei einem der weltgrößten Vermögensverwalter, den Allianz Global Investors, sieht man das Inflationsthema nicht nur deshalb weniger entspannt als beim IWF: Die expansive Geld- und Fiskalpolitik der Vergangenheit wird mittelfristig letztendlich zu noch höherer Inflation führen, sagte der Investment-Chef der Allianz-Tochter, Andreas Utermann, vor Journalisten in Berlin. Die Saat für diese höheren Inflationsraten werde schon seit einigen Jahren von den Zentralbanken gelegt.
Kapitalzufluss aus dem Westen
Besonders groß sei das Inflationsproblem in den Schwellenländern. Dort seien die Zinsen für die derzeit beobachteten Wachstumsraten viel zu niedrig. Es gebe zwar – etwa in China – erste Versuche, die Inflation einzubremsen. Diese seien aber viel zu schwach, um das Problem in den Griff zu bekommen. In den „Emerging Markets“ werde die Inflation durch die hohen Kapitalzuflüsse aus den Industrieländern verstärkt – die aus den niedrig verzinsten Anleihen ihrer Heimatländer in Regionen mit höheren Renditen flüchten.
Fazit des Investment-Chefs der Allianz Global Investors: Auch wenn die Inflationsraten zwischendurch ein wenig abfallen, muss wohl für das gesamte laufende Jahrzehnt mit erhöhten Teuerungsraten gerechnet werden.
Teuerung schlägt Wachstum
Ein besonderes Dilemma bedeutet das für die Eurozone. Denn in Schwellenländern wie China oder Indien, aber auch in den USA wächst die Wirtschaft stärker als die Teuerungsrate. In Europa ist das nicht der Fall (siehe Grafik),und das nimmt der Zinspolitik der Zentralbank wiederum den Wind aus den Segeln: Erhöhen die Notenbanker die Leitzinsen, dämpft das einerseits die Inflation, stört aber das Wirtschaftswachstum.
Trotzdem erwarten die meisten Experten, dass die EZB schon bald den Zinssatz erneut anheben wird – laut Erste Bank heuer noch zweimal, um jeweils 0,25 Prozent. 2012 soll die Teuerung so wieder auf 1,9 Prozent zurückgehen. Das hoffen jedenfalls die Notenbanker. Interview Seite 21
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2011)