Kapitalmarktexperte: "Inflation ist die einzige Lösung"

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Die Europäische Zentralbank hat sich vom Dogma der Preisstabilität verabschiedet. Unter Axel Weber als EZB-Chef wäre das anders, sagt Kapitalmarktexperte Stefan Riße.

Die Presse: Sie haben schon vor einem halben Jahr prognostiziert, dass nicht der deutsche Hartwährungsfan Axel Weber Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) wird. Sondern der moderatere Italiener Mario Draghi. Verabschiedet sich die EZB damit von ihrem Dogma der Preisstabilität?

Stefan Riße: Die EZB hat sich schon von diesem Dogma verabschiedet. Und zwar, als sie anfing Staatsanleihen aufzukaufen (damit pumpte sie Geld in die Märkte Anm.). Zudem toleriert sie für die Eurozone gerade eine Inflation, die deutlich über der Zielmarke von zwei Prozent liegt.

Die EZB hat ihren Leitzins überraschend früh angehoben. Das ist ein Bekenntnis, die Inflation bekämpfen zu wollen.

Der Leitzins steht derzeit bei 1,25 Prozent, die Inflation in der Eurozone liegt aber bei 2,7 Prozent. Das heißt, wir sehen negative Realzinsen. Damit kann man der Inflation nicht entgegenwirken. Die EZB will doch nur den Schein wahren. In Wirklichkeit lässt sie Inflation zu.

Warum tut sie das?

Die Notenbanker haben keine andere Wahl. Wir sehen eine massive Schuldenkrise einiger Euroländer. Wenn die Eurozone mit allen Ländern erhalten bleiben soll, gibt es nur eine Lösung: Inflation. Hebt die EZB dagegen die Zinsen auf Niveaus, mit denen man die Inflation effektiv bekämpft, würde das zu einer Konjunkturkrise führen. Nehmen wir das Beispiel Spanien: Die Verschuldung der privaten Haushalte liegt bei 170 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Sollten die Zinsen stark ansteigen, gäbe es eine heftige Rezession.

Wird unter Mario Draghi die Geldpolitik also noch lockerer als unter Jean-Claude Trichet gestaltet?

Das nicht. Aber mit Axel Weber als EZB-Chef gäbe es eine Geldpolitik, die wirklich auf Preisstabilität abzielt. Wir würden dann niedrigere Inflationsraten sehen. Das hätte allerdings einen hohen Preis.

Und zwar welchen?

Staaten und private Haushalte würden pleitegehen. Damit wäre der soziale Friede gefährdet.

Demnach bleibt nur mehr die Inflation als Ausweg. Wann rollt die große Inflationswelle auf die Eurozone zu?

Dann, wenn die Gewerkschaften deutlich höhere Löhne verlangen. Das könnte in ein bis vier Jahren passieren. Wir werden dann etwa in Österreich Inflationsraten von fünf bis sieben Prozent sehen.

Das klingt nicht gut.

Das ist kein großes Drama. Die Sparer sollten sich aber überlegen, wie sie ihr Geld schützen können. Mit klassischen Anlageprodukten wie Sparbüchern oder Lebensversicherungen kommt man nicht weit.

Sie empfehlen Gold als Inflationsschutz. Gold hat aber einen Nachteil: Es wirft keine Zinsen ab. Derzeit steigen die Zinsen an. Gold ist daher ein wenig interessantes Investment.

Wichtig sind nicht die nominellen, sondern die realen Zinsen. Und die sind negativ. Gold ist daher nicht unattraktiver als andere Anlagen. Im Gegenteil, die Goldmenge ist überschaubar. Die Geldmenge dagegen ist astronomisch hoch. Dieses Geld sucht Anlagemöglichkeiten und wird auch weiter teilweise in Gold fließen und damit den Goldpreis antreiben.

Die verschuldeten Staaten müssen sich immer stärker auf dem Anleihenmarkt verschulden. Sehen wir da eine Blase?

Es wird keinen Crash geben. Das verhindern die Notenbanken, indem sie Staatsanleihen aufkaufen, um die Anleihenpreise zu stützen und die Zinsen niedrig zu halten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2011)

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