Cartellverband: Zwischen Dollfuß und dem lieben Gott

Cartellverband Zwischen Dollfuss lieben
Cartellverband Zwischen Dollfuss lieben(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Dank Michael Spindelegger steigt der Einfluss des christlichsozialen Cartellverbandes in ÖVP und Regierung wieder. Vaterland, Lebensfreundschaft, Wissenschaft und Religion: Ein Besuch auf der "Bude".

Der Blick von hinten in den Prechtl-Saal der Technischen Universität tut fast ein bisschen weh in den Augen: Zu sehen sind vor allem Kappen, in allen Farben, grüne und rote, blaue, gelbe, braune, orangefarbene und vereinzelt auch solche, die man in ihrer Kunterbuntheit mehr mit afrikanischen Stammesfürsten in Verbindung bringen würde als mit Studenten in Wien.

Die Kappen, im Fachjargon „Deckel“ genannt, werden ausschließlich von Männern getragen, jüngeren und älteren. Donnerstagabend sind sie deutlich in der Mehrzahl: Vereinzelt haben sich auch Damen ins Auditorium verirrt, aber im Wesentlichen ist die männliche Seilschaft wieder unter sich.

Keiner im Raum trägt langes Haar, ist gepierct oder fällt mit seiner Kleidung auf. Jeans sind das höchste der Gefühle und womöglich schon der Ausweis für ein gewisses Exotentum. Die meisten sind im Anzug gekommen, mit Hemd und Krawatte, um Hals und Achselhöhle haben sie ihre farbig-gestreiften Bänder geschwungen. Irgendwie sehen alle gleich aus, als würden sie erst durch das äußerliche Erscheinungsbild Teil des großen Ganzen werden.

Das Symposium „Gott. Wissenschaft. Einheit oder Widerspruch?“ wird von einem jungen Mann eröffnet, der rechts neben dem Podium Aufstellung genommen hat: „Liebe Cartell- und Bundesbrüder“, sagt er. „Seit seiner Gründung bekennt sich der CV zu Gott und der Wissenschaft. Geht das überhaupt?“

Es geht, wie die Debatte zeigen wird: Die Frage vermag erwartungsgemäß nicht beantwortet zu werden, und irgendwie scheint das sogar gewünscht zu sein. Denn der Österreichische Cartellverband (CV), Dachverband von 47 katholischen, farbentragenden Studentenverbindungen, hat sich nicht nur dem Vaterland und der Lebensfreundschaft verschrieben, sondern auch den Prinzipien Wissenschaft und Religion.

Der religiöse Anspruch kommt einem Bekenntnis zur katholischen Soziallehre gleich, dem traditionellen Wertegerüst der Christlichsozialen: Personalität, Solidarität und Subsidiarität, in einer zeitgemäßen Adaptierung. Ziel des CV ist es, die Gesellschaft auf Grundlage dieser vier Prinzipien „vorzudenken“. Das scheint ihm langsam wieder besser zu gelingen. Denn sein Einfluss ist seit Kurzem im Steigen begriffen – in der Volkspartei zumindest.

Das liegt vor allem am Vizekanzler, der am Freitag auch zum Parteiobmann der ÖVP gewählt werden wird. Michael Spindelegger ist „Alter Herr“ der „Norica“, einer der größten und ältesten Verbindungen im CV, und jemand, über den seine Gesinnungsfreunde sagen, dass sich seit Alois Mock kein ÖVP-Chef mehr dem gemeinsamen Wertegerüst so sehr verbunden gefühlt hätte.

Große Hoffnungen. Überhaupt ist der CV so gut wie schon lange nicht mehr repräsentiert. Bis auf Sebastian Kurz entstammen alle männlichen Regierungsmitglieder der ÖVP einer katholischen Mittelschul- oder Studentenverbindung: Reinhold Mitterlehner, unter seinesgleichen „Django“ genannt, ist Mitglied bei der „Austro-Danubia Linz“, Nikolaus Berlakovich, vulgo „Bärli“, kommt aus der „Austro-Peisonia“, Karlheinz Töchterle aus der „Sternkorona Hall“, und Wolfgang Waldner fühlt sich wie sein Chef der „Norica“ zugehörig.

Der Sympoiums-Eröffner setzt große Hoffnungen in das neue Personal – besonders in Spindelegger, sagt er, habe er „großes Vertrauen“. Als Vorortspräsident ist der Jus-Absolvent aus Linz noch bis Juli höchster Repräsentant des CV. Die Amtsperiode dauert ein Jahr, als Akademiker wird er dann in den Stand des „Alten Herren“ wechseln.

Ein bisschen sieht der 23-Jährige aus wie die katholische Version von Nikolaus Pelinka, dem ungefähr gleichaltrigen SPÖ-Freundeskreisleiter im ORF: rötlich-blondes Haar, Scheitel nach rechts, rhetorisch begabt und eher nicht von Minderwertigkeitsgefühlen geplagt.

Leistung und Werte, das zähle im CV, sagt der Vorortspräsident. Und der religiöse Hintergrund, natürlich: Muslimen und Protestanten etwa bleibt die Mitgliedschaft verwehrt (Frauen übrigens auch). Aus der Kirche auszutreten, ist ein No-go. Genauso wenig toleriert die Gemeinschaft, wenn einer der ihren „in unkatholischer Weise mit der Ehe umgeht“.

Die Familie in ihrer klassischen Form ist dem Präsidenten und seinen Brüdern im Geiste heilig. Ihr Wert als Institution, sagen sie, werde politisch nicht ausreichend geschätzt. Das müsse und werde sich mit Spindelegger hoffentlich zum Besseren wenden.

Vor allem die „Abtreibungsproblematik“ schreie zum Himmel: Es gebe keine „flankierenden Maßnahmen“ zur Fristenlösung – etwa eine verpflichtende Bedenkzeit, kritisiert der Vorortpräsident. Die Gesellschaft bekenne sich „nicht zum Lebensschutz“. Niemand könne gutheißen, wenn Frauen in Notlagen keine andere Lösung finden. Selbst bei Vergewaltigungsopfern wäre es schön, wenn das Kind zur Welt kommen dürfe. Danach gebe es einige Möglichkeiten: eine Adoption etwa oder die Babyklappe.


„Missverstanden“. Als Jugendlicher fühlte er sich oft missverstanden in seinem katholischen Selbstverständnis. Von den Mitschülern wurde er bisweilen schief beäugt – etwa weil er am Sonntag den Gottesdienst zu besuchen pflegt. Mit 15 trat er einer Mittelschulverbindung bei, um sich mit Gleichgesinnten zu umgeben. Als Student in Wien schloss er sich dann der „Franco-Bavaria“ an, einer besonders traditionellen, oberösterreichisch dominierten Verbindung. Die Mitglieder schämen sich ihrer Lederhosen nicht.

Die „Bude“ der „Franco-Bavaria“ befindet sich in nobler Lage: Bankgasse 1, erster Bezirk. Während sich die deutschnationalen Studenten angeblich gern in Kellern tummeln und von Wagner berieseln lassen, fühlen sich die CVler im zweiten Stock wohler: Von oben lässt sich die Gesellschaft gewissermaßen leichter überblicken.

Das Herzstück der Bude ist der Kneipsaal, ausgestopfte Tiere und Fahnen schmücken seine Wände, in der Mitte hängt ein Bild von Engelbert Dollfuß, einem ehemaligen Franco-Bavaren („Man muss diesen Mann differenziert betrachten“, sagen seine Erben). Hier finden die Kneipen statt, die Veranstaltungen. Dann wird eine große Tafel errichtet, an der getrunken und gesungen wird, vorzugsweise „Gaudeamus igitur“ und Volkslieder. Frauen, die sonst willkommen sind, haben dabei nichts verloren. Wenn es ans Eingemachte geht, bleiben die Korporierten lieber unter sich. So würden die Dinge wohl unbeschwerter angesprochen, sagt der Vorortpräsident.

Am späten Donnerstagabend, nach dem Symposium an der TU, versammeln sich die Männer im Raum neben dem Kneipsaal, einer Art Wohnzimmer. Eine große Bar steht darin und eine Sitzgarnitur aus Leder, die schon einmal in ein Bett umgewandelt wird, wenn einer über den Durst getrunken hat. Es gibt einen Fernseher, einen Wuzzler-Tisch und einen Baumstamm zum Nageln: Die katholischen Studenten tragen ihre Wettkämpfe anders aus als die deutschnationalen. Die Mensur nämlich ist hier strengstens untersagt.

Türöffner. Mittendrin steht der Vorortpräsident, intern nennt er sich „Benvolio“ – nach Romeos Cousin im Shakespeare-Drama „Romeo und Julia“ („Er hat eine verbindende Art wie ich.“), umringt von „Orpheus“, „Dionysos“ und „Troubadix“, einem Barden der Neuzeit, der Oboe spielt. Als „Füchse“ mussten sie sich einst zum „Bursch“ hochdienen – jetzt stehen sie entweder schon im Berufsleben oder kurz davor.

Als Mitglied im CV tut man sich da wesentlich leichter. Die Herren verhehlen nicht, dass der Verband über eine Mitgliederdatenbank verfügt und ein „gutes Netzwerk“ gewoben hat, bis hinauf in die politischen Etagen. „Das kann einem die Türen schon öffnen.“ Nicht wenige in der ÖVP glauben, dass der Cartellverband dank Spindelegger bald auch in den Ministerkabinetten verstärkt sichtbar sein wird: Verlässliche Mitarbeiter sind immer gefragt.

Loyalität wird bereits auf den Buden zur Tugend ausgerufen. Man hält zusammen und die Fahnen hoch, wenn auch nicht klar ist, ob wirklich alle der Werte wegen hier sind – oder nur so tun, um sich das Leben zu erleichtern. Benvolio, Troubadix und die anderen stoßen ihre Krüge zusammen, klopfen einander auf die Schulter und erfreuen sich ihrer selbst. Der „Deckel“ bleibt auf dem Kopf, auch beim Biertrinken.

UPDATE:

(c) Die Presse (Clemens Fabry)

Zur Debatte (siehe Postings) um die Bebilderung des Textes, die von uns ohne jede böse Absicht geändert wurde: Hier also noch einmal die Version des Fotos vor der Änderung (siehe links). Wir wurden gebeten, folgenden Hinweis anzufügen: "Der ÖCV ist im Europäischen Kartellverband (EKV) mit zahlreichen christlichen gemischtgeschlechtlichen und Damenverbänden freundschaftlich verbunden. An dem ÖCV-Symposium nahmen etwa auch Vertreterinnen der Vereinigung christlicher farbentragender Studentinnen in Österreich (VCS) teil. Auch bei übrigen ÖCV-Veranstaltungen – mit Ausnahme von Vereinssitzungen – sind Damen und Gäste grundsätzlich herzlich willkommen."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2011)

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