Dänemark: Eine Nation schottet sich ab

Daenemark Eine Nation schottet
Daenemark Eine Nation schottet(c) EPA (MORTEN GERMUND)
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Die Wiedereinführung der Grenzkontrollen in Dänemark ist Zeichen des wachsenden Nationalismus in Europa. Das kleine Land im Norden spielte bei vielen strengen Migrationsregeln eine Vorreiterrolle.

"Ich verstehe mich gut mit meinen Nachbarn“, sagt Pia Kjærsgaard, „aber zwischen unseren Gärten will ich gerne eine Hecke haben.“ So wie bei sich zu Hause im Kopenhagener Nobelvorort Gentofte wünscht sich die Chefin der dänischen Rechtspopulisten auch das Miteinander der europäischen Staaten. „Eine Grenze muss es geben“, hatte sie schon postuliert, als sich die Dänen 1996 dem Schengen-Abkommen anschlossen. Mit ihren Konsorten von der „Dänischen Volkspartei“ (DVP) kaufte sie damals symbolisch eines der aufgelassenen Grenzwärterhäuschen, um auch nach dem Abzug der Beamten dort die rot-weiße Dannebrog-Fahne zu hissen.

Seit 15 Jahren kämpft Kjærsgaard um die Wiedereinführung der Kontrollen an den dänischen Außengrenzen, jetzt hat sie sich durchgesetzt: Schon in wenigen Wochen sollen an der Öresundbrücke nach Schweden, an den deutsch-dänischen Autobahnübergängen, an Fähr- und Flughäfen „permanente Kontrollmechanismen“ eingerichtet werden, die aus den offenen Grenzen wieder Schleusen machen, an denen manche durchgewinkt und manche gestoppt werden.

Aus den Nachbarstaaten Deutschland und Schweden bis nach Südeuropa hagelt es nun Proteste. In ungewöhnlich scharfer Form warnte etwa EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso den dänischen Premier Lars Løkke Rasmussen vor einseitigen Maßnahmen und drohte andernfalls mit „allen notwendigen Schritten“ – also dem Rauswurf aus der Schengen-Zusammenarbeit –, um die Einhaltung der europäischen Gesetze zu sichern.


Ruf nach strengeren Maßnahmen. „Alles nur ein Missverständnis“, kontert die Regierung in Kopenhagen. Keinesfalls wolle Dänemark das Schengen-Abkommen verlassen, und was man beschlossen habe, stehe damit in vollem Einklang. Es gehe nicht um Personen- und Passkontrolle, sondern um verstärkte Zollfahndung, bei der man „verdächtige Fahrzeuge“ zur Seite winken werde. „Die einzige Unannehmlichkeit für die meisten Autofahrer wird darin bestehen, dass sie an der Grenze abbremsen müssen“, versucht Steuerminister Peter Christensen die Kritiker zu beruhigen. „Das ist keine Barriere für die freie Beweglichkeit.“ Diese Argumentation passt jedoch schlecht zu den Signalen, die von Regierung und DVP für das heimische Publikum kommen. Mit den neuen Kontrollen wolle man die „steigende Kriminalität durch osteuropäische Banden“ und die Einreise „illegaler Migranten“ verhindern, erklärte Finanzminister Claus Hjorth Frederiksen bei der Vorlage des Abkommens mit den Rechtspopulisten. Wie das ohne Personenkontrollen zu erreichen sein soll, bleibt ein Rätsel. Die Zollfahnder würden wohl eher bei den Riesenmengen Alkohol fündig, die die Dänen über die Grenze schleppen. Für die Jagd nach illegalen Waffen und Drogen bietet auch das Schengen-Abkommen alle Möglichkeiten. Die neuen Regeln seien also entweder ein Schlag ins Wasser – oder ein Bruch der geltenden Verpflichtungen, warnen Experten.

Raubzüge von aus Rumänien und Litauen eingereisten Tätern, Auto- und Elektronikdiebstähle in professionellem Stil und ein paar brutale Überfälle haben jedoch eine Stimmung geschaffen, die dem Ruf nach strengeren Maßnahmen Widerhall geben – auch wenn die Polizei schon scharfe Kritik einstecken musste, wenn sie Aktionismus vortäuschte und bei Bagatelldelikten drakonisch durchgriff. Dass man im letzten Sommer in Kopenhagen Dutzende rumänische Roma aufgriff, die sich von Betteln und Flaschensammeln ernährten, weil sie illegal gecampt hatten, und in ihre Heimat auswies, wurde vom Obersten Gerichtshof als eindeutige Verletzung der Regeln der Freizügigkeit gebrandmarkt.


Brutale Ausländerdebatte. „Die Schweden tun das Gleiche“, verteidigt die dänische Regierung das neue Grenzregime. Tatsächlich kann der Reisende auf der schwedischen Seite der Öresundbrücke oder im Fährhafen Helsingborg in eine Zollrazzia geraten. Doch das schwedische System beinhalte nicht die „permanente und intensive Überwachung aller Grenzen“, wie sie die Dänen planen, betont die – aus Schweden stammende – EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström. „Die Kommission fürchtet, dass andere Länder uns nachfolgen, und daher versucht man, das kleine Dänemark einzuschüchtern“, sagt Peter Skaarup, Justizsprecher der DVP, „aber wir lassen uns nicht Bange machen.“

Es ist nicht das erste Mal, dass die EU-skeptischen Dänen Sand ins Getriebe der Union streuen. Sie haben einst das Maastricht-Abkommen blockiert, sie haben sich Vorbehalte zu essenziellen EU-Bereichen wie Währungs-, Militär- und Justizpolitik ausgehandelt, sie haben die Einführung des Euro abgelehnt. Parallel dazu hat die Regierung die Asyl- und Migrationspolitik ständig verschärft, den Nachzug von ausländischen Familienangehörigen immer schwerer gemacht und das Land gegenüber „unerwünschter Einwanderung“ abgeschottet.

Das jedoch färbt ab, nach innen wie nach außen. In dem einst für seine Toleranz und Liberalität bekannten und beliebten Land hat sich ein Ton in der Ausländerdebatte durchgesetzt, der an Brutalität seinesgleichen sucht. Die „Fremden“ werden pauschal diffamiert und sind schuld an allem Unheil, Muslime und „Zigeuner“ stehen besonders unter Beschuss. Wobei die Verfechter der strikten Regeln durchaus nicht nur im rechten Lager zu finden sind; auch Sozialdemokraten und Sozialisten haben sich anstecken lassen.

Inspiration Dänemark. Andere Länder blicken interessiert nach Dänemark und lassen sich inspirieren. Viele der heute in ganz Europa geltenden Migrationsregeln – von der Rückschickung ins Erstasylland über eine Sprachprüfung für Aufenthaltswillige – sind erst in Dänemark erprobt und anderswo kopiert worden. Und nicht nur in Dänemark gibt es den Druck, die Schattenseiten der freien Beweglichkeit zu beseitigen, indem man an deren Grundprinzipien rüttelt. Der Analytiker Massimo Merlino vom Brüsseler Zentrum für europäische Politikstudien sieht das Land als den „jüngsten Beweis, dass sich Europa immer mehr in eine nationalistische Richtung bewegt“. Die Absage an Rumänen und Bulgaren zum Schengen-Beitritt oder Frankreichs Schengen-widrige Schließung der Italien-Grenze für nordafrikanische Flüchtlinge seien weitere Beweise, „und jetzt schickt Dänemark ein Signal der Verschlossenheit.“

Für Pia Kjærsgaard ist das ein Grund zum Jubeln. Am Tag des Abkommens über die verschärften Grenzkontrollen ging hinter ihrer Hecke in Gentofte der Dannebrog hoch, wie immer in Dänemark, wenn es etwas zu feiern gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2011)

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