Autorin Zhang Yihe: „Niemand ist sicher“

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Dissidentin zeigt sich über die Lage der Künstler in China besorgt. Methode der Denunziation erinnert sie an die damalige Kulturrevolution. Regierung ist besorgt dass es in China ebenfalls zu Unruhen kommt.

Die Presse: Ai Weiwei wird seit über fünf Wochen irgendwo in Peking festgehalten. Was war Ihr erster Gedanke, als Sie am 3.April davon hörten, dass er abgeführt worden war?

Zhang Yihe: Ich hatte plötzlich das Gefühl: Jetzt fängt es wieder an. In der Kulturrevolution (1966–76) gab es diese Methode der Denunziation: Den Lehrern warf man politische Fehler in ihrem Unterricht vor, bei Schriftstellern fand man Probleme in ihren Gedichten oder Romanen, und die Künstler klagte man an, sie hätten die Regierung mit ihrer Kunst infrage gestellt.

Sie selbst haben damals als sogenannte Konterrevolutionärin zehn Jahre im Gefängnis gesessen.

Deshalb bin ich so alarmiert, und deshalb glaube ich, dass sich die Intellektuellen und vor allem die Künstler hinter Ai Weiwei stellen müssen. Wir müssen ihn verteidigen, auch zu unserem eigenen Schutz. Es geht nicht nur um ihn allein. Viele Leute sind betroffen, Aktions-, Konzept- und Avantgarde-Künstler im ganzen Land stehen unter Druck. Niemand ist sicher, das ist das Schockierende.

Kritiker werfen Ai Weiwei vor, er sei kein richtiger Künstler. Er habe Ideen anderer kopiert. Seine Aktionen dienten nur dazu, sich wichtig zu machen oder im Ausland bekannt zu werden.

Deshalb war es nötig, dass sich jemand vom Fach mit der Kunst Ai Weiweis beschäftigt. Ich habe einen der wichtigsten chinesischen Kenner zeitgenössischer Kunst, den Kurator Li Xianting, gebeten, mir dabei zu helfen. Wir haben beschlossen, zusammen einen Artikel zu schreiben.

Gab es Ärger wegen Ihres Artikels?

Gleich am Tag, nachdem wir über unseren Plan gesprochen hatten, den Text zusammen zu schreiben, erhielt Li Besuch von der Polizei. Man fotografierte sein Studio und brach eine Ausstellung ab, die er gerade organisiert hatte. Als ich das hörte, war ich sehr erschrocken. Ich habe ihm sofort ein E-Mail geschrieben, dass es mir leid tut, ihm Probleme bereitet zu haben. Wenn er unseren geplanten Text nicht mehr schreiben wolle, dann könne ich das verstehen und sei ihm trotzdem sehr dankbar. Aber er hat geantwortet: Selbst wenn man mir meine Arbeitsmöglichkeiten nimmt, werde ich diesen Text trotzdem schreiben. Er ist sehr mutig.

Was steckt Ihrer Ansicht nach hinter dieser Entwicklung?

Seit der Jasmin-Bewegung in Nordafrika und dem Nahen Osten ist die Regierung sehr besorgt, dass jemand in China ebenfalls Unruhen schüren könnte. So kamen sie auf Ai Weiwei: Er ist berühmt, er hat die Fähigkeit, mit einem einzigen Foto oder Bild sehr viel zu sagen, und er nutzt das Internet intensiv. Aber sie haben sich natürlich geirrt, weil sie ihn ihm einen politischen Akteur sehen. Sie haben nicht verstanden, dass er ein wahrer Künstler und das Politische ein Teil seiner Kunst ist.

Es gibt viele Chinesen, die geradezu gereizt auf Ai Weiwei reagieren und ihm vorwerfen, er sei unpatriotisch.

Das ist ein Ergebnis der Erziehung. Die Kinder lernen von klein auf, dass sie nicht nur ihre Eltern, sondern auch ihr Land lieben müssen. Wenn sie erwachsen werden, glauben sie zutiefst daran. Und sie entwickeln eine gespaltene Persönlichkeit, denn sie lieben die Dinge des Westens: die Filme, die Kleidung. Sie sprechen Englisch, reisen nach Europa und in die USA. Auf der geistigen Ebene haben sie den Patriotismus vorgesetzt bekommen und angenommen – aber was sie sich selbst wünschen und suchen, sind die materiellen Dinge des Westens.

Wie geht es der Familie von Ai Weiwei?

Seine Mutter, Gao Ying, leidet sehr, sie macht sich große Sorgen um den Sohn. Sie erinnert mich an meine Mutter, die hatte denselben kummervollen Blick, als ich damals ins Gefängnis musste. Ich versuche, Gao Ying zu trösten und werde mich auch künftig immer um sie kümmern, egal, was passiert. Sie besitzt ein kleines, hübsches Hofhaus. Sollte es zum Prozess kommen, sagte sie mir, sei sie bereit, das Haus zu verkaufen, um die Anwälte für ihren Sohn zu bezahlen.

Zur Person

Zhang Yihe hat ihre autobiografischen Berichte unter dem Titel „Vergangenes vergeht nicht wie Rauch“ im Verlag Zweitausendeins auf Deutsch veröffentlicht (Preis: 25€). 1970 wurde sie zu 20 Jahren Straflager verurteilt, 1979 freigelassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2011)

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