Kroatien-Beitritt ist Balsam auf den Wunden der EU

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Warum die Aufnahme des Westbalkanlandes weit unproblematischer ist als jene der Türkei – und deshalb ein Hoffnungsschimmer für die angeschlagene EU.

Leitartikel

Der Beitritt von Rumänien und Bulgarien hätte der Europäischen Union so nie passieren dürfen. In dieser Bewertung sind sich mittlerweile fast alle Beteiligten einig. Die Aufnahme der beiden Länder auf massives Drängen von Frankreich und Großbritannien war verfrüht, riskant und letztlich für den gesamten Erweiterungsprozess kontraproduktiv. Weil beide Staaten in korrupten, mafiösen Strukturen verhaftet blieben, entstand ein gesellschaftlicher Vertrauensbruch gegenüber jeder neuen Aufnahme. Sie war Wasser auf die Mühlen professioneller EU-Kritiker.

Dieser Vertrauenseinbruch hatte freilich auch einen positiven Effekt: Er hat die Kriterien für die nächsten Beitrittskandidaten politisch verschärft. Kroatien, das aussichtsreichste Land, muss erheblich mehr Auflagen erfüllen, seine Reformen nicht nur ankündigen, sondern bereits weitgehend umgesetzt haben, bevor es im Juni grünes Licht für den Beitritt erhalten dürfte. Dabei geht es nicht bloß um einen Schutz der EU-Partner vor der auf dem Westbalkan tief verwurzelten organisierten Kriminalität, es geht um Rechtssicherheit für Unternehmen, die in Kroatien investieren. Es geht darum, dass in diesem Land ein Justizsystem entsteht, das funktionstüchtig, effizient und verlässlich ist. Die mittlerweile weitgehend funktionierende Zusammenarbeit mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal war ein Lackmustest für die Vertrauenswürdigkeit Kroatiens.

Warum ist aber Kroatiens Beitritt deutlich unproblematischer als jener der Türkei? Warum wird er von 68 Prozent der Österreicher befürwortet (Umfrage der Gesellschaft für Europapolitik), aber jener der Türkei von 69 Prozent gänzlich abgelehnt? Ein Erklärungsmuster ist natürlich die uns nähere religiöse Orientierung der Kroaten, ihre Fähigkeit, sich in die westeuropäische Gesellschaft zu integrieren. Ein weiterer Grund ist mit Sicherheit aber auch, dass dieses Land selbst einen Weg in Richtung Westeuropas Wertesystem eingeschlagen hat. Freilich gibt es in Kroatien radikale nationalistische Kräfte, aber es gibt keinen internen gesellschaftlichen Bruch wie in der Türkei.

Ein Beitritt zur EU kann Motor für Reformen sein, das bewies die Osterweiterung im Jahr 2000 eindrucksvoll. Ein Beitritt kann so manche innenpolitische Kluft temporär überwinden, das zeigte Österreichs Aufnahme 1995. Ein Beitritt kann aber keine kulturellen, politischen und religiösen Spannungen eines Landes auflösen, wie es sich dies reformwillige Kräfte in der Türkei heute wünschen. Der Beitritt ist kein Allheilmittel gegen dunkle Machtstrukturen, wie dies Rumänien, Bulgarien und schon viel früher Italien unter Beweis gestellt haben. Er ist lediglich eine Chance auf eine wirtschaftspolitische und rechtsstaatliche Zäsur. Und zu dieser ist Kroatien offensichtlich bereit.

Die Aufnahme Kroatiens wird der EU allein deshalb guttun, weil sie ein Kontrapunkt zum völligen Stillstand ist. Zuletzt ist ja der Eindruck entstanden, die Europäische Union versinke in Selbstmitleid über die eigene Entscheidungsunfähigkeit. Letztlich funktioniert die Europapolitik wie die Wirtschaft: Sie braucht Wachstum, Fortschritt und Weiterentwicklung, sonst erstarrt sie, wird korrupt und verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Die EU ist wie ein Fahrrad, das ständig bewegt werden muss, damit es nicht umfällt. Derzeit rollt sie nicht einmal mehr, wankt bereits gefährlich.

Rein wirtschaftlich gesehen war bisher jede Beitrittswelle ein Erfolg. Denn die Vergrößerung eines Markts ist Garantie für mehr Umsatz. Die Aufnahme Kroatiens könnte aber auch politischer Balsam auf den Wunden der EU sein. Extern, weil damit der Sicherheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auf dem benachbarten Westbalkan Vorschub geleistet wird. Intern, weil ein weiteres kleines Land dazu beitragen wird, die unheilvolle Phalanx der beiden größten EU-Staaten Frankreich und Deutschland zu durchbrechen. Paris und Berlin haben sich vom Motor der Gemeinschaft zur trägen Walze der Union entwickelt. Sie betreiben bei ihren Vorgaben für EU-Ratsentscheidungen bilaterale Interessenabgleichung ohne Mehrwert für die meisten anderen Partner.

Europa braucht Länder wie Kroatien!

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2011)

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