EU-Asylpolitik: "Wir machen das nicht, weil es nett ist"

EUAsylpolitik machen nicht weil
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Innenkommissarin Malmström beharrt im „Presse"-Interview auf einer gemeinsamen EU-Asylregeln und erklärt ihre Sorgen um Schengen.

Die Presse: Frau Kommissarin, hätten Sie sich bei Ihrem Amtsantritt Anfang 2010 gedacht, dass das Reisen ohne Grenzkontrollen im Schengen-Raum unter Beschuss kommen würde?

Cecilia Malmström: Ich wusste, dass dieses Amt kompliziert wird. Es umfasst ja alle Migrations- und Grenzthemen und die Verbrechensbekämpfung, und das ist alles kompliziert und manchmal kontroversiell. Ich hätte aber nicht erwartet, dass Schengen infrage gestellt wird. Ich dachte, wir alle würden darin übereinstimmen, dass das eine der schönsten und greifbarsten Errungenschaften der EU ist. Aber so ist es nun einmal. Und ich bin ehrlich gesagt darüber deprimiert, dass Europas Antwort auf die Revolutionen in Nordafrika, die wir doch befürworten, und den Krieg in Libyen jene ist, die Grenzen dicht zu machen.

Diese Kontroverse zeigt, wie schwer der Vertrauensverlust zwischen den Mitgliedstaaten ist. Können Sie als EU-Kommissarin dieses verlorene Vertrauen wiederherstellen?

Schengen kann nur funktionieren, wenn wir einander vertrauen, dass die Kontrolle der Außengrenzen funktioniert. Die Kommission hat schon im November ein System vorgeschlagen, um das besser zu überwachen. Denn derzeit bewerten die Mitgliedstaaten einander gegenseitig. Das ist keine sehr gute Sache, weil sie dazu neigen, gewisse Probleme zu übersehen. Deshalb denkt die Kommission gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und vielen, wenn auch nicht allen Mitgliedstaaten, dass es für Schengen eine europäische Dimension geben muss. Natürlich werde nicht ich als Kommissarin die Grenzen kontrollieren. Aber eine Rolle für die Kommission, gemeinsam mit der Grenzschutzagentur Frontex und unabhängigen Experten: Das ist absolut nötig.

Sie als Kommissarin sind in einer starken politischen Position: Wenn die Regierungen den Schengen-Kodex ändern wollen, brauchen sie die Zustimmung des Parlaments. Und das will eine europäische Lösung. Haben Sie den Eindruck, dass den Innenministern diese Realität bewusst ist?

Sie alle haben unterschiedliche Ansichten. Manche sagen: Die Grenzkontrolle ist ausschließlich nationale Zuständigkeit, also Hände weg. Wenn wir aber das Gesetz ändern wollen, gilt Mitentscheidung.
Halten Sie es für politisch möglich, gewisse Innenminister davon zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse wäre, wenn die Kommission als unparteiische Schiedsrichterin über Streitereien im Schengen-Raum entschiede?
Ich habe noch keinen Vorschlag in Händen. Aber wir stimmen überein, dass es ein Problem gibt. Frankreichs Präsident Sarkozy hat gesagt: „Wer hat das Sagen im Schengen-Raum? Niemand in Brüssel hat das Sagen. Wir müssen das stärken." Wir erörtern mehrere Optionen, wollen aber nichts überstürzen, sondern die Sache lieber gut als zu schnell behandeln.

Vor knapp 20 Jahren waren Europas Regierungen sehr großzügig und haben hunderttausende Kriegsflüchtlinge aus Jugoslawien aufgenommen. Heute lautet die erste Sorge der neuen österreichischen Innenministerin, ob es genügend viele Bundesheersoldaten gibt, die man an die Grenze schicken kann, wenn es große Flüchtlingsströme gibt. Was ist da passiert?

Das hat sie beim Ministerrat nicht gesagt. Ich war mit ihr im Verhandlungssaal.

Aber bei der Pressekonferenz danach. Und sie drückt damit die Gefühlslage in vielen Mitgliedstaaten aus.
Und das macht mir ziemliche Sorgen.

Sie haben die Regierungen neulich auch daran erinnert, dass sie sich im Dezember 2009 dazu verpflichtet haben, bis 2012 ein gemeinsames Asylsystem zu schaffen mit gemeinsamen Regeln dafür, wie Asylwerber zu behandeln sind. Wie wollen Sie die Regierungen davon überzeugen, dass sie das in die Tat umsetzen sollten?
Wir machen das nicht bloß, weil es nett ist. In manchen Ländern Nordeuropas bekommt man mit 75 Prozent Wahrscheinlichkeit Asyl, in anderen im Süden Europas nur mit 0,1 Prozent. Das führt zum Missbrauch des Systems, und es ist teuer. Es ist daher klug, ein gemeinsames System zu haben, politisch und wirtschaftlich. Österreich gehört zu den zehn Mitgliedstaaten, die gemeinsam 90 Prozent aller Asylwerber aufnehmen. Das heißt, dass 17 weitere Länder mehr Asylwerber aufnehmen könnten.

Wo stehen wir derzeit?

Wir verhandeln im Parlament und im Rat. Ich werde in den nächsten zehn Tagen geänderte Vorschläge vorlegen, damit sich die Minister beim nächsten Ratstreffen am 9. Juni damit befassen können.

Welche Gesetzesvorschläge sind das?

Die Richtlinien über Verfahren und Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern. Das sind die beiden schwierigsten. Wir haben sechs Monate Österreich und den anderen Mitgliedstaaten zugehört, was ihre Einwände sind.

Bestehen Sie weiterhin auf dem Arbeitsrecht für Asylwerber?

Ja. Aber wir versuchen, den Staaten mehr Flexibilität zu geben.

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