Markovics: „Da habe ich Glück gehabt!“

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Der Wiener Schauspieler Karl Markovics präsentierte am Donnerstag bei den Filmfestspielen in Cannes sein warmes, formal erstaunlich sicheres Regiedebüt "Atmen" in der Nebensektion "Quinzaine des Réalisateurs".

Das österreichische Kino gelte als „so kalt“, aber Atmen, das Regiedebüt von Karl Markovics, sei für seine emotionale Wärme ausgewählt worden: „Einer der besten Filme in Cannes!“ Der das sagt ist allerdings derjenige, der ihn programmiert hat: Frédéric Boyer, der heuer sein zweites Jahr als Leiter der Nebensektion „Quinzaine des Réalisateurs“ absolviert hat und im Vorjahr für seine schwache Selektion schwer angegriffen wurde. Heuer scheinen die Reaktionen etwas gnädiger, jedenfalls wurde am Donnerstagmorgen Atmen mit warmem Applaus aufgenommen: Und tatsächlich ist der Erstling des bekannten österreichischen Schauspielers Markovics ein warmer, sogar optimistischer Film – was dem (Festivalfilm-)Klischee vom kalten, depressiven Austro-Kino in der Haneke-Tradition zuwiderläuft.

Dabei klingt das Sujet von Markovics' Regieinstand auf den ersten Blick wie ein weiteres tristes österreichisches Sozialdrama: Es ist die Geschichte des 19-jährigen Roman Kogler (ein frisches Gesicht: Thomas Schubert), der im Jugendgefängnis sitzt und offensichtlich nicht nur Kommunikationsprobleme hat. Die erste Szene zeigt ihn bei der Vorstellung für einen Bewährungsjob als Schweißer: Als er die Maske aufsetzen soll, reißt er sie sich schreiend wieder vom Gesicht. Für seinen nächsten Arbeitsversuch auf Freigang bewirbt er sich dann ausgerechnet als Leichenbestatter. Ein gewohnt guter Georg Friedrich gibt den älteren Kollegen: ein Motorradfan, vermutlich in seiner Jugend a Wilder auf der Maschin', der sich mittlerweile brav in die Gesellschaft eingelebt hat, dem verschlossenen Neuankömmling aber zunächst zusetzt.

Exzellenter Kameramann: Martin Gschlacht

Die langsame Annäherung der beiden Figuren, von Markovics und seinem exzellenten (Digital-)Kameramann Martin Gschlacht hauptsächlich über Gesten und Blicke erzählt, ist eine der großen Stärken des Films: So weigert sich der Ältere zunächst, dem Jüngeren zu zeigen, wie man die (im Job manchmal benötigte) Krawatte bindet. Später stellt er sich einfach wortlos hinter ihn und demonstriert im Spiegel, wie es geht.

Faszinierend ist die ganz ungekünstelte Präsentation der Alltagsarbeit der Leichenbestatter, einem selten erforschten Kinosujet – und wenn, dann kaum je realistisch. Das Erlernen der Handgriffe und die Bürokratie rundherum werden ebenso erschlossen wie menschliche Dramen im Hintergrund. Eine Frau bleibt lieber im Vorzimmer der Wohnung, um ihre verstorbene alte Verwandte nicht sehen zu müssen. Am Praterstern rastet eine andere aus, als ihr klar wird, dass die noch über ihren Freund gebeugten Sanitäter schon den Leichenwagen gerufen haben. Das Thema habe ihn schon lange beschäftigt und die Recherche dazu, das Begleiten echter Bestatter, sei eines der stärksten Erlebnisse seines gesamten Lebens gewesen, erzählt Markovics in der anschließenden Pressekonferenz: Dann sei ihm plötzlich ein Junge erschienen – „wie bei Pirandello, aber nur eine Person statt sechs!“ – und habe verlangt, eine Geschichte zu bekommen.

Und die Geschichte des Jungen ist die einer langsamen Befreiung: Bald nach Beginn entlässt er noch einen in der Arbeitshalle gefangenen Vogel ins Freie, eine ganze Reihe ähnlicher Symbole begleiten seinen Weg, der ihn schließlich zur unbekanten Mutter (Karin Lischka) führt, die ihn einst ins Waisenhaus gab. Diese schwierige Annäherung und die einhergehende optimistische Öffnung erfolgen allerdings viel konventioneller, oft nahe am Klischee: Zusammen mit den starken visuellen Metaphern – so versenkt sich Roman alleine am Boden eines Pools, bevor er am Ende doch frei aufatmen kann – sorgt das für eine Künstlichkeit, die den souveränen Duktus des Films schrittweise überwältigt.

Der Film sollte „Roman“ heißen

Wie im Fall von Markus Schleinzers emotional völlig gegensätzlichem Austro-Wettbewerbsbeitrag Michael ist Atmen keineswegs makellos, aber dennoch ein gerade auch formal erstaunlich sicheres Debüt. Zum heimischen Doppel in Cannes hatte Markovics bei der Pressekonferenz noch eine lustige Anekdote: Der Titel seines Films sei ihm gekommen, als ihn die Kollegin Elisabeth Scharang fragte, worum es darin ginge. „Ursprünglich hieß mein Film einfach Roman. Da habe ich Glück gehabt, wo der andere österreichische Film hier einfach Michael heißt!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2011)

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