Bob Dylan: „I can change, I swear!“

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Dylan bdquoI change swearldquo(c) AP
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Harter Regen, Blut auf den Spuren und immer wieder der Highway 61: Man kann seine eigene Geschichte stets neu schreiben, sich dabei aber treu bleiben. Dem fahrenden Sänger Bob Dylan zum 70.Geburtstag.

Verrat bedeutet, aus der Reihe zu tanzen“, schreibt Milan Kundera in seinem gescheiten Kitschroman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“: „Verrat bedeutet, aus der Reihe zu tanzen und ins Unbekannte aufzubrechen.“ Bob Dylan, dem Sänger, der am Dienstag 70 wird, wird seit fast 50 Jahren immer wieder Verrat vorgeworfen, spätestens seit 1966, als er die Folk-Anhänger durch elektrische Gitarren und surreale, nicht „engagierte“ Texte vergrämte: „Judas!“, schrie ein 20-jähriger Fan bei einem Konzert in Manchester, das später skurrilerweise als „Royal Albert Hall Concert“ bekannt wurde. „I don't believe you, you're a liar“, antwortete Dylan nicht wirklich passend, forderte seine Band auf, noch lauter zu spielen und stürzte sie und sich in „Like A Rolling Stone“, diesen säuberlich vergifteten Song, der wie ein Märchen beginnt: „Once upon a time you dressed so fine...“

„Eine ganz neue Art von Ausverkauf“ warf Maureen Dowd, Kolumnistin der „New York Times“, vor eineinhalb Monaten Bob Dylan vor: Der „raspy troubadour of '60s freedom anthems” habe diese Hymnen nämlich bei seinem Konzert in Peking nicht gespielt. Mehr noch: Er habe seine Songliste von chinesischen Regierungsstellen zensurieren lassen. Mit einiger Verspätung – verständlicherweise, er hatte zu tun, er war auf Tour – antwortete Dylan auf seiner offiziellen Homepage: Ja, die Behörden hätten ihn gefragt, welche Songs er spielen würde, er habe ihnen alle Setlists der letzten drei Monate geschickt. „Wenn irgendwelche Songs, Strophen oder Zeilen zensuriert worden sein sollten, hat mir das niemand gesagt.“

Welche Songs hätte sich Maureen Dowd wohl erwartet? „Blowin' In The Wind“ und „The Times The Are A-Changing“ wahrscheinlich. „With God On Our Side“ eher nicht, das passt nicht so gut auf ein atheistisches Regime. „A Hard Rain's A-Gonna Fall“, das mindestens so gut als „Protestsong“ durchgeht, hat Bob Dylan immerhin in Peking sehr wohl gespielt, genauso wie „Ballad Of A Thin Man“, die höhnische Attacke auf einen Mister Jones, der nicht mitbekommt, was sich ändert in seiner kleinen Welt. Man kann diesen Song als Angriff auf jedes System verstehen, wenn man will; in diesem Sinn ist er (auch) Gebrauchspoesie, wie viele Dylan-Songs: Wer hätte 1965 geahnt, dass sich für das aufrührerische „Maggie's Farm“ 14 Jahre später eine britische Premierministerin passenden Vornamens finden würde? Als Dylan am Tag des Wahlsiegs von Barack Obama „Blowin' In The Wind“ brachte, wurde das von manchen als Anspielung auf den Anti-Sklaverei-Song „No More Auction Block“ (dessen Melodie der von „Blowin' In The Wind“ entfernt ähnelt) interpretiert. Und wenn Dylan heute als Zugabe „Forever Young“ singt (wie letztens in Linz oder eben in Peking), denkt sich jedes Publikum gerührt: Das singt er just für uns.

Als Eröffnungssong für das Peking-Konzert wählte Dylan „Gonna Change My Way Of Thinking“ aus „Slow Train Coming“ (1979), dem ersten der drei Alben seiner „christlichen Phase“. Er ist diesem Song treu geblieben, hat seither jedes Konzert mit ihm begonnen, was völlig untypisch ist auf seiner „Never Ending Tour“. Es ist ein kleiner, lapidarer Song, der auf der Studioaufnahme ein ziemlich uncooles Hardrock-Gewand anhat (es klingt zirka wie „Sunshine Of Your Love“ für Schnauzbärte), ein Blues, in dem der Sänger erklärt, dass er seine Denkweise und Verhaltensregeln ändern wird, in dem er die Unterdrückung beklagt, Jesus zitiert („Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich“, Lukas 11,23), das himmlische Königreich preist, von seiner „gottesfürchtigen“ Frau schwärmt: „She can do the Georgia crawl, she can walk in the spirit of the Lord.“

Was ist der „Georgia crawl“? Der Überlieferung zufolge ein recht erotischer Tanzstil, der etwa in Songs von Blind Willie McTell vorkommt, einem 1959 gestorbenen Bluesmusiker, dem Dylan ein schönes Lied gewidmet hat. Das Profane und das Spirituelle, sie haben sich in Dylans Songs auch damals vermischt, als er im vollen fundamentalistischen Ernst das Evangelium predigte, zur Empörung vieler, die all seine Wandlungen davor bereitwillig mitgemacht hatten. Sätze wie „There are no truths outside the gates of Eden“ (1965) waren noch durchgegangen, Beschwörungen des Jüngsten Gerichts waren Verrat an der liberalen Sache.

Auf seiner Tour durch Asien und Australien hat Bob Dylan den Georgia Crawl genauso aus dem Song gestrichen wie das Hardrock-Riff und den Himmel, Jesus kommt nur einmal kurz vor, Stürme ziehen auf, geblieben ist der Vorsatz: „I'm gonna change my way of thinking, make myself a different set of rules.“ Die Zeiten ändern sich, wie der junge Dylan mit großem Pathos sang; die Dinge haben sich geändert, wie der alte Dylan mit großem Grant sang; aber er selbst ändert sich mindestens genauso schnell und unberechenbar. „I can change, I swear!“, schrie er in „You're A Big Girl Now“, der deutlichsten, klarsten Nummer auf seinem schmerzlichsten Album „Blood On The Tracks“ (1974). Der Zirkusartist, als der er sich stets gerne dargestellt hat, vor seiner Paradefigur: sich ändern, sich rearrangieren, weiterlaufen, auf Tour bleiben. „Hibbing's a good ol' town“, schrieb er 1962 in „My Life In A Stolen Moment“ über seinen Heimatort, „I ran away from it when I was 10, 12, 13, 15, 15 ½, 17 an' 18, I been caught an' brought back all but once.“

Knezelwitz – mit Vornamen

Das war erstens (fast) reine Fantasie und zweitens Verrat an seinen braven Eltern, Abraham und Beatty Zimmerman, die es vielleicht nicht nur lustig fanden, wenn ihr Sohn einem Reporter beschied, sein Geburtsname sei Knezelwitz gewesen, und auf dessen Staunen hin erklärte: „Das war der Vorname. Ich will Ihnen nicht wirklich sagen, was der Nachname war.“

Drittens war es eine Anmaßung, wie die Zeilen in dem seinem Idol Woody Guthrie gewidmeten „Song To Woody“, in dem er sich an die Seite der großen alten Wandersänger stellt: „The very last thing that I'd want to do, is to say I've been hittin' some hard travellin' too.“ (Diese frühe Anmaßung entspricht genau der Bescheidenheit, mit der sich der alte Dylan zurück in die Reihe, zurück in die Tradition stellen sollte, einen halben Schritt hinter Blind Willie McTell, Charlie Patton und andere Vorväter.)

Schon zwei Jahre später kam ihm das alles wohl fürchterlich altklug vor: „I was so much older then, I'm younger than that now“, sang er zu einer sehr getragenen Melodie in „My Back Pages“. Da war er 23 und erst recht altklug, ein gefeiertes „Sprachrohr der Protestbewegung“, auf dem Sprung, sich wieder neu zu erfinden und in die quecksilbern schimmernden Abgründe seiner Alben „Bringing It All Back Home“, „Highway 61 Revisited“ und „Blonde On Blonde“ zu tauchen. Wieder zwei Jahre später nutzte er einen Motorradunfall, um sich als abgeklärten Familienvater mit sonorer Stimme neu zu definieren. Dann wurde er zum Dilettanten, zum Woodstock-Flüchtling, zum Zerrissenen, zum Scheidungsopfer, zum weisen Juden, zum wiedergeborenen Christen, zum tragischen Clown in bleicher Maske, zum Hüter der ländlichen Tradition, zum trotzigen Alten, zum ewig Reisenden...

Es mag reizvoll sein, diese Wandlungen als postmoderne Auflösung des Subjekts zu verstehen, man wird Dylan damit nicht gerecht. Darum ist auch „I'm Not There“, die Filmbiografie von Todd Haynes, in der Bob Dylan in sechs Personen aufgespalten wird, reizvoll und virtuos, aber im Grunde unpassend. Dylan hat keine Rollen gespielt, die bei Literaturgeschichtlern gefragte Trennung in „wahres Ich“ und „lyrisches Ich“ hat er kaum je vollzogen, seine Fantasien und Selbstmystifikationen stets ernst genommen: „Als ich meine Heimat verließ, war ich wie Kolumbus, der in den verlassenen Atlantik aufbricht“, heißt es in seinen „Chronicles“, das ist nicht nur Theater. Und dass dieser Mann seine beiden vielleicht schönsten Songs, nämlich „Sad-eyed Lady Of The Lowlands“ und „Sara“ (das ja die Entstehungsgeschichte von „Sad-eyed Lady“ erzählt) nie live spielt, liegt wohl daran, dass sie ihm bis heute zu intim und zu schmerzhaft sind.

„She does not have to say she's faithful, yet she's true like ice, like fire“, singt Bob Dylan in „Love Minus Zero/No Limit“ (das man sich unbedingt in der schmalzig-fröhlichen Version auf „At Budokan“ anhören muss!) über sein Idealbild einer Geliebten. Das gilt auch für den Liebhaber selbst. Zuverlässig muss er nicht sein, aber wahrhaftig. Man kann und soll seine eigene Geschichte ständig neu schreiben, aber man kann und soll sich dabei treu bleiben.

Der Schal von „Blonde On Blonde“

Es ist wohl auch dieser Anspruch, der immer wieder Schreiber dazu bringt, ihr eigenes Leben zu erzählen, wenn sie über Bob Dylan reflektieren. Vielleicht muss man das tun. Ich für meinen Teil, wenn's interessiert, habe meine erste Dylan-Platte 1977 entdeckt, im Audio-Center am Wiener Judenplatz, wo freundliche Althippies einen viele, viele Platten hören ließen, auch wenn man nur höchstens eine kaufen konnte. Es war „Hard Rain“, das wüsteste seiner Live-Alben, eine Aufnahme, die, wie ich viel später las, bei einem Gewitter entstanden ist, das die Verstärker zu zerstören drohte, so viel Spannung war in der Luft, dazu in Anwesenheit seiner soeben von ihm geschiedenen Frau, für die er „Idiot Wind“, diesen letztlich versöhnlichen Ausbruch an Unversöhnlichkeit, mehr brüllte als sang. „I haven't known peace and quiet for so long I don't know what it's like“: Das konnte seine Wirkung auf einen Dreizehnjährigen nicht verfehlen.

Zwei Jahre später konnte ich zirka 61 Strophen des Meisters auswendig, hatte eine Rauhlederjacke und einen Schal, die fast so aussahen wie die Jacke und der Schal, den Dylan auf dem Cover von „Blonde On Blonde“ trägt, und war jäh glücklich, als mich auf einer ansonsten grauenhaften Party ein Mädchen mit den Worten „Du schaust aus wie Bob Dylan“ ansprach. Mir fiel keine gute Antwort ein. Vielleicht hätte sie mein Leben verändert.

Es hat sich auch so verändert. „I'm younger than that now.“ Jeden Silvester lege ich, egal wo, um fünf nach zwölf „Changing Of The Guards“ auf, einen der Dylan-Songs, die ich zu begreifen glaube, ohne ihn zu verstehen. Und im Juni kaufe ich mir neue Desert Boots und fahre nach Hamburg und Mainz: Zwei Dylan-Konzerte pro Jahr müssen sein. Vielleicht singt er sogar „Sara“. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2011)

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