Mit Michael Spindelegger ist die ÖVP zu sich gekommen

Der neue Obmann der ÖVP möchte es ungefähr so machen wie Wolfgang Schüssel. Keine schlechte Idee, abgesehen davon, dass er eben nicht Wolfgang Schüssel ist.

Michael Spindelegger hat in seiner Parteitagsrede sehr bewusst und sehr deutlich auf die letzten großen Zeiten der ÖVP hingewiesen: Das war, als Wolfgang Schüssel das schlechteste ÖVP-Ergebnis seit der Gründung der Partei dazu nutzte, mit Unterstützung von Jörg Haider Bundeskanzler zu werden. Dass er Schüssels Negativrekord in der Wählerzustimmung bei den nächsten Nationalratswahlen egalisiert, kann man Michael Spindelegger ohne Weiteres zutrauen. Dass er daraus eine kühne Regierungskonstellation bastelt und am österreichischen System aus Sozialpartnern, Bünden und bildungsfernen Medien vorbeiregiert, kann man sich eher schwer vorstellen.

Das Kühne ist seine Sache nicht.

Michael Spindelegger ist mehr der Solide, ein gewissenhafter Arbeiter im Weinberg des Herrn. In seiner Parteitagsrede hat keiner der Gemeinplätze gefehlt, die man in der ÖVP seit geraumer Zeit für ein Programm hält. Eh Wirtschaft, aber halt mit sozialer Verantwortung, eh Freiheit, aber nur, wenn das Risiko nicht zu groß ist, eh Leistung, aber bitte, bitte keine Gier. Und Familie, Familie ist ganz wichtig, denn falls Sie es noch nicht gewusst haben, wissen Sie es jetzt: Die Kinder sind unsere gesellschaftliche Zukunft, jawohl.

Spindeleggers Rekurs auf die Ära Schüssel ist in zweierlei Hinsicht vollkommen schlüssig. Erstens signalisiert er dem Funktionärsapparat, dass jetzt mit den pseudoliberalen Experimenten der Ära Pröll endlich Schluss ist. Und zweitens drückt er implizit aus, was man explizit nicht gern sagt: dass es um Macht geht, nicht um Ideen.

Wolfgang Schüssel steht nicht für die Vision der Reform, sondern für den Pragmatismus der Macht. Er hat die Sozialpartner zur Seite geschoben, weil er eine Möglichkeit sah, ohne sie zu regieren. Prinzipielle Strukturreformen wie die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaften oder ein Mehrheitswahlrecht wären ihm, dem Sozialpartnergeschöpf, nie in den Sinn gekommen.

Schüssel hatte einen Sinn für das Notwendige und Lust an der Macht. Wenn die Voraussetzungen stimmen, kann das für eine glanzvolle Karriere reichen. Es gibt bekanntlich seit jeher drei Arten von Politikern: die, die an die Macht der Ideen glauben, die, die an die Idee der Macht glauben, und Michael Spindelegger.

Die Voraussetzungen, die Spindelegger vorfindet, sind denkbar schlecht: Die absolute Mehrheit der Wahlberechtigten – Pensionisten, Beamte, Angestellte in öffentlichen Unternehmen, Nichtsteuerzahler – hängen am Staatstropf und werden von SPÖ, Grünen und FPÖ darin bestärkt, dass das erstens gut so ist und zweitens auch so bleiben wird. Die Gegenposition als „Wirtschaftspartei“ muss also aus Sicht der Parteistrategen sehr moderat formuliert werden.

Man will nämlich „Volkspartei“ bleiben, auch wenn es längst kein „Volk“ mehr gibt für die ÖVP: Die Mehrheit, die von Mutter Staat gesäugt wird, verfügt bereits über eine Vielzahl von politischen Angeboten. Und die, denen es um eine radikale Reform von Strukturen und Mentalitäten geht, denken längst in anderen Kategorien von politischer Partizipation. Die ÖVP vertritt innerhalb der absoluten Mehrheit, die vom Staat lebt, nur noch jene Minderheit, die gut von ihm lebt: Bauern und Beamte. Sie ist mit ihrem neuen Vorsitzenden gewissermaßen zu sich gekommen.


Wir werden sehen, ob es wirklich in absehbarer Zeit eine neue Partei gibt. Sie würde die Umfragewerte der Volkspartei auf jene 15–20 Prozent bereinigen, die sie aus Überzeugung und nicht als geringstes Übel wählen. Eines wird aber jetzt schon deutlich: Die Zahl derer, die zwar die politischen Strukturen in diesem Land für einen toten Vogel halten, sich aber trotzdem nicht von einem ehemaligen Neonazi vertreten lassen wollen, liegt irgendwo zwischen zehn und zwanzig Prozent. Zählt man die Angespeisten, die Herrn Strache mögen, und die Nichtwähler dazu, sieht man, dass nicht nur die sogenannte Große Koalition um ihre Mehrheit fürchten muss: Das politische System dieses Landes ist als solches kaum noch mehrheitsfähig.

Ein Parteitag ist wohl nicht der richtige Ort, um so etwas zu verstehen.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2011)

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