Europas „Frühling“ der Unzufriedenen

(c) AP (Emilio Morenatti)
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In Spanien demonstriert die Jugend trotz Verbots. Sie fordert ebenso wie die Initiatoren des Arabischen Frühlings eine Abkehr vom politischen Establishment und Rache für ihre verbauten Zukunftschancen.

Der hagere Bursche hat sich das Wort „Revolution“ auf sein weißes T-Shirt gekritzelt. Wütend reckt er beide Fäuste in den Himmel. „Wir sind nicht gegen das System, das System ist gegen uns“, ruft Carlos Gutierrez auf Madrids völlig überfülltem Platz Puerta del Sol, auf dem ein Meer von Menschen gegen die Mächtigen Stimmung macht.

Der 28-Jährige, der Marketing studiert hat, kämpft seit drei Jahren um einen Job, hat unzählige Bewerbungen geschrieben. „Ungefähr 500 habe ich weggeschickt. Das Ergebnis: zwei unbezahlte Praktikumsstellen, eine vierwöchige Aushilfstätigkeit für 500 Euro und hunderte Absagen. Carlos ist einer von gut einer Million jungen Arbeitslosen in Spanien. Jenem Land, in dem es insgesamt fast fünf Millionen Menschen ohne Job gibt – 21 Prozent der aktiven Bevölkerung.

Nun gehört der junge Mann mit dem dunkelbraunen kurzen Haarschopf zu Spaniens neuer Protestgeneration, die in der spanischen Hauptstadt Madrid, in der Mittelmeermetropole Barcelona und in 60 weiteren Städten für ein besseres Leben, für eine „wirkliche Demokratie“ demonstriert. „Ohne Job kein Geld, keine Wohnung, keine Unabhängigkeit“, fasst Carlos seine Lage in knappen Worten zusammen, während um ihn herum die Menge brüllt: „Wir haben die Nase voll. Arbeitslose und Familien – wir fordern Lösungen.“

Mit dem Massenprotest in Spanien hat der Arabische Frühling auf Europa übergegriffen. Es ist ein Protest gegen das korrupte politische Establishment, gegen Vetternwirtschaft und ein Aufschrei der Rache gegen die Verursacher der Wirtschaftskrise.

Dem spanischen Staat steht ebenso wie Griechenland oder Portugal wegen seiner horrenden Haushaltsschulden das Wasser bis zum Hals. Es gibt keinen Spielraum für Arbeitsförderung oder soziale Hilfen. Stattdessen wird die Axt angesetzt.

Das dürfte sich auch nach diesem turbulenten Wahl- und Protestsonntag kaum ändern, an dem im ganzen Land über Bürgermeister und regionale Ministerpräsidenten abgestimmt wurde. Von Spaniens sozialistischem Regierungschef José Luis Zapatero, dessen Stuhl bereits seit Längerem wackelt, sind keine Wunder mehr zu erwarten.

„Liege den Eltern auf der Tasche“

Carlos und seine Familie sind jetzt schon ein Euro-Rettungsfall. „Ich liege“, sagt er mit schmalen Lippen, „meinen Eltern auf der Tasche.“ Und denen gehe es ebenfalls alles andere als gut. Sein Vater, der in einer Baufirma als Buchhalter tätig war, sitze seit dem Zusammenbruch der Immobilienblase vor zwei Jahren auf der Straße. „Das Arbeitslosengeld läuft aus.“ Was nun wird, wisse er nicht.

Gleich vor dem Palast der Regionalregierung ist auf dem Pflaster ein Protestcamp aus dem Boden gewachsen. Ein Zeltdorf, dessen Bewohner sich „Indignados“, die „Empörten“, nennen. Stundenlang diskutieren die Dauerdemonstranten in ihrem „Straßen-parlament“, wie ihr Protest noch wirkungsvoller werden kann. Wie man am besten den „korrupten Politikern“, die jahrelang mit „geldgierigen Banken und Immobilienhaien“ gemeinsame Sache gemacht hätten, die Zähne zeigt.

Vielleicht, weil sie ein Ventil des Zorns ist, wird der Zulauf zur Protestbewegung, die von der jungen Generation getragen, aber von immer mehr Älteren unterstützt wird, größer und größer. Die letzten Tage passte keine Stecknadel mehr auf die „Plaza“ – und das trotz eines staatlichen Demonstrationsverbotes am Wahlwochenende. Die Staatsführung hatte letztlich den Protest geduldet, um eine Eskalation zu vermeiden.

Noelia Moreno, eine der Sprecherinnen der Demonstranten, triumphiert: „Wir sind dabei, Geschichte zu machen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23. Mai 2011)

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