So riskant sind neue Beitritte für die EU

(c) EPA (Robert Ghement)
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Mit der Verhaftung von Ratko Mladić beginnt sich für Belgrad die Tür zur EU zu öffnen. "Die Presse" hat zusammengetragen, was für und was gegen einen Beitritt der Balkanstaaten spricht.

Was spricht für einen Beitritt

Säße Ratko Mladić heute im Gefängnis, wenn Serbien nicht der EU beitreten möchte? Es war vor allem Druck aus Brüssel, der Belgrad dazu bewogen hat, den flüchtigen Exgeneral zu verhaften. Und es ist unter anderem Druck aus der EU, der die Führung Serbiens und des Kosovo dazu bringt, über technische Fragen zu verhandeln. Belgrad und Prishtina ist klar, dass eine EU-Vollmitgliedschaft kaum realistisch ist, wenn sie ihren Disput nicht beenden.

Der Wunsch, der EU beitreten zu dürfen, wirkte in den vergangenen Jahren als gewaltiger Reformmotor in ganz Südosteuropa. Dort nimmt die EU noch die Rolle ein, die ihr einst auch in Westeuropa zugedacht war: die Rolle eines Friedensprojekts. So war die Aussicht auf einen EU-Kandidatenstatus eine wichtige diplomatische Waffe, als es 2001 galt, ein Friedensabkommen in Mazedonien zu schließen. Und die Idee, dass alle ohnehin einmal in einem gemeinsamen Europa aufgehen, in dem Grenzen nicht mehr wichtig sind, wirkt durchaus als Medizin gegen neue Teilungstendenzen in Bosnien und Herzegowina. Dort spielen nationalistische Serben und Kroaten mit dem Gedanken, sich abzuspalten und den „Mutterländern“ Serbien und Kroatien anzuschließen.

Ängste vor Schaden für die Sicherheit und den Euro relativieren sich dadurch, dass all diese Länder mit dem EU-Beitritt noch lange nicht ihre Grenzen öffnen oder die Gemeinschaftswährung einführen dürfen. Hier werden die Kriterien eher verschärft als erleichtert. Alle neu aufzunehmenden Staaten Südosteuropas – von Kroatien bis Albanien – haben zusammen nur 24 Millionen Einwohner, so viel wie Rumänien allein. Der Brocken, den die EU verdauen müsste, wäre also nicht sehr groß.

Zugleich ist die Region wirtschaftlich interessant. Bis zur Finanzkrise 2008 zählte der Westbalkan mit jährlich plus sechs Prozent zu den am stärksten wachsenden Wirtschaftsräumen Europas. Österreich kann als Nachbarstaat sowohl ökonomisch als auch sicherheitspolitisch von einem EU-Beitritt dieser Länder nur profitieren.

Was spricht gegen einen Beitritt

Das Problem ist nicht kleiner, sondern größer geworden. Die Länder des Westbalkans haben sich laut einem Anfang Mai veröffentlichten Bericht der europäischen Polizeibehörde Europol zu einer Kriminalitätsdrehscheibe entwickelt. Es werden immer mehr Zigaretten, Drogen, Waffen und auch Menschen über diese Länder illegal verschoben. Die Abschaffung der Visapflicht für einige dieser Länder hat laut Europol das Problem noch verschärft.

Es sind laut Europol vor allem Albanisch sprechende Banden, die an diesen dunklen Geschäften verdienen. Korruption und organisiertes Verbrechen paaren sich hier mit völlig überforderten Justiz- und Sicherheitsbehörden, für deren Aufbau etwa in Bosnien oder im Kosovo zuletzt freilich die internationale Gemeinschaft verantwortlich war. Die hohe Arbeitslosigkeit (in Bosnien ist jeder Vierte, im Kosovo jeder Dritte ohne Job) führt dazu, dass verbrecherische Organisationen ausreichend Zulauf bekommen.

Dazu kommt eine politisch nach wie vor instabile Lage, in der auch zwielichtige Politiker an die Macht kommen. So werden etwa die politischen Spitzen Montenegros und des Kosovo immer wieder mit organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht.

Mit dem serbischen EU-Beitritt könnte zudem ein ungelöstes politisches Problem in die EU importiert werden: der Kosovo. Denn Belgrad verweigert der abtrünnigen Provinz die Anerkennung und hat dabei auch fünf EU-Staaten an seiner Seite. Wird der Kosovo-Status vor einer Aufnahme Serbiens nicht gelöst, droht ein ähnliches Dauerproblem, wie es die EU bereits mit Zypern hat.

Die Aufnahme von bis zu sieben weiteren Ländern könnte die EU an den Rand ihrer Administrierbarkeit bringen. Die Beispiele Bulgarien, Rumänien oder Griechenland zeigen, wie schwierig es ist, gemeinsames Recht in dieser Region ausreichend umzusetzen. Da die Region noch strukturelle Defizite aufweist, müssten zudem die reicheren EU-Staaten den Aufbau mitfinanzieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28. Mai 2011)

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