Italien: Die Zeit des Aufstiegs ist vorbei

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In seiner obersten Bildungsschicht blockiert sich Italien selbst und lässt diese zusehends schrumpfen.Immer mehr gehen Akademiker ins Ausland, umgekehrt ziehen fast keine zu. Die Zahl der Studierenden sinkt.

Roms Straßenkehrer sind nicht so sehr knorrige, wettergegerbte Gestalten: Es fällt der hohe Anteil junger, gepflegter Männer und Frauen auf. Etwa Gianna (25): Sie trägt ihr langes schwarzes Haar offen, ist geschminkt wie für den Bummel, findet aber nichts dabei, in bordeauxroter Uniform und klobigen Schuhen die Gehsteige zu reinigen. „Sicher“, sagt sie, „hab ich mir einen netteren Arbeitsplatz vorgestellt. Aber so habe ich wenigstens einen unbefristeten Job.“

Gianna studierte in Rom Soziologie, einen passenden Job bekam sie nie. „Ich kenne viele Akademiker in meinem Alter, denen geht's genauso.“ Also fing sie bei der römischen Stadtreinigung an, das war vor zwei Jahren. „Meine Eltern sprachen zwei Wochen lang nicht mit mir. Dann haben sie akzeptiert, dass ich ihnen nicht mehr auf der Tasche liege. Viel Geld haben sie ja auch nicht. Mein Vater ist selber bei der Müllabfuhr.“

Italien gilt als kinderfreundlich. Dabei ist es älter als der EU-Durchschnitt. Die Schicht 15- bis 34-Jähriger umfasste 1991 noch 31% der Bevölkerung, jetzt nur 23% (EU-Schnitt: 26,3%). Ihre Jobchancen sind übel: Fast 30% der Unter-30-Jährigen waren Ende 2010 arbeitslos; bei jungen Frauen im Mezzogiorno sogar 42,4%. Das gilt für alle Berufe, bei Akademikern aber ist die Zahl der Arbeitslosen 2,5% höher als bei anderen. Kaum 70% der Akademiker fanden einen Job, EU-Schnitt: 84%. Das erstaunt, weil es in Italien nicht so viele Akademiker gibt: Ihre Quote ist mit 20% der arbeitsfähigen Bevölkerung halb so groß wie im Mittel der OECD-Länder.

Italien, das auf einer klein- und mittelständischen Industrie ruht, bietet Akademikern viel weniger Stellen als andere Länder. Zudem neigen die Akademiker dazu, im Alter ihre Posten nicht zu räumen. Eine Gerontokratie blockiert Italiens Wirtschaft, Unis und Forschungseinrichtungen.

Jugendforscher Gustavo Pietropolli Charmet klagt, viele Junge fänden sich mit der „Verschwörung der Dinosaurier“ so ab, dass sie sich in Untätigkeit einigelten. Das ist belegbar: Die Zahl 15- bis 29-Jähriger abseits von Ausbildung oder Beruf beträgt drei Millionen. Davon stieg der Anteil der Akademiker allein 2010 um elf%, fast doppelt so stark wie die generelle Rate von 6,6%.

Wozu noch studieren? Parallel sinkt die Zahl der Studiosi: Junge sehen wenig Anreiz dazu. Luigi Biggeri, Leiter des „Nationalkomitees zur Bewertung des Universitäts-Systems“, sagt: „Früher suchte man einen Hochschulabschluss auch als Aufstieg in eine höhere Schicht. Heute sehen viele, dass davon nicht die Rede sein kann.“ Auch gehen immer mehr Akademiker ins Ausland, umgekehrt ziehen fast keine zu. Und so trocknet Italiens oberste Bildungsschicht aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2011)

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