Der Mikrobiologe als Nachtportier

(c) Erwin Wodicka
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Jung, Akademiker, arbeitslos: Während die spanischen "Indignados" auf die Straße gehen, leiden ihre österreichischen Kollegen im stillen Kämmerlein. Viele verkaufen sich unter Wert.

Eineinhalb Jahre sind eine lange Zeit, sie können sich wie fünf oder zehn Jahre anfühlen, wenn man einen Job sucht und nicht findet. Man wird zu zweifeln beginnen, am System zunächst und dann an sich selbst; man wird sich unter Wert verkaufen, um an Geld zu kommen, um sich eine Wohnung leisten und ein Leben beginnen zu können, das nicht mehr abhängig vom Elternhaus ist.

Eineinhalb Jahre hat es gedauert, bis Martin Konrad (die Namen in diesem Bericht wurden geändert, Anm.) einen Dienstvertrag unterzeichnen durfte: angestellt im Gebäudemanagement einer Handelskette. Über Monate hinweg hatte er sich als „Abfallberater“ durchgeschlagen, auf Basis eines Werkvertrags mit ziemlich bescheidenem Stundenlohn. Er wird diese Zeit später als „mühsam“ beschreiben, persönlich und finanziell, und er wird sich daran erinnern, wenn er versehentlich alte Dateien im Computer öffnet.

45 Bewerbungen hat Konrad in diesen 18 Monaten verschickt und meistens auch eine Antwort bekommen, wenn auch eine negative. (Man werde ihn in Evidenz halten. Ja eh.) Siebenmal wurde er zum Vorstellungsgespräch eingeladen, ein paar Mal kam er sogar in die Endrunde, aber dann wurde doch der Mitbewerber genommen – wegen der größeren Berufserfahrung, wie man ihm mitteilte. Ja, schon, aber woher nehmen, diese Erfahrung, wenn man keine Chance bekommt?

Dabei hat Konrad nichts falsch gemacht, jedenfalls nicht nach den Maßstäben, die im Elternhaus, an den Schulen und in Politikerreden gemeinhin angelegt werden: maturiert an einer HTL, Zivildienst geleistet, in der Privatwirtschaft erste Erfahrungen gesammelt, dann Energie- und Umweltmanagement studiert an einer FH. Vielleicht war es einfach nur schlechtes Timing, als er sein Studium im Sommer 2009 abschloss, mitten in der Wirtschaftskrise. Darauf jedenfalls hätten sich viele Unternehmen ausgeredet, sagt er. „Vielleicht ist es aber auch an meiner Ausbildung gelegen – oder an mir.“

Martin Konrad ist kein Einzelfall, schon gar nicht in Europa, aber auch in Österreich nicht: Wer jung ist und gut ausgebildet, flexibel und arbeitswillig, muss nicht automatisch einen Platz auf dem Arbeitsmarkt finden. Die Arbeitslosigkeit in Österreich beträgt derzeit 4,3 Prozent, im Bereich der Jugend (15- bis 24-Jährige) 9,4 Prozent: Das ist EU-weit der drittbeste Wert nach den Niederlanden und Deutschland, deutlich besser als der spanische (44,6 Prozent) – und doch stehen heute mehr als doppelt so viele junge Leute ohne Arbeitsplatz da wie noch vor zehn Jahren.

Risikogruppe.
Das Arbeitsmarktservice führt diese Entwicklung auf die Krise zurück, von der sich die Wirtschaft noch nicht wieder erholt habe: Bis junge Arbeitskräfte „produktiv einsetzbar“ seien, müssten die Unternehmen einiges investieren – Geld vor allem. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten vertrauten daher viele Betriebe auf „vollwertige Mitarbeiter“ oder Leiharbeiter.

Während die spanischen Studenten auf den Straßen gegen die Aussichtslosigkeit ihrer Situation ankämpfen, leiden einige ihrer österreichischen Kollegen im Stillen: Peter Winter, ein Publizistikabsolvent, wollte in die Werbe- und Marketingbranche, verfasste 61 Bewerbungen – und bekam 61 Absagen.

Ein halbes Jahr lang hielt sich Winter mit Gelegenheitsjobs über Wasser und absolvierte schließlich ein Praktikum bei einer Werbeagentur, das in ein Dienstverhältnis überging. Bis dorthin musste er mit rund 700 Euro monatlich das Auslangen finden: „Ganz ehrlich: Ohne meine Eltern hätte ich Existenzängste bekommen. Ich hätte jeden Job annehmen müssen, um zu überleben.“

Womöglich fühlte sich Winter sogar ein bisschen provoziert, als Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (ÖVP) vor zwei Wochen die „Generation Praktikum“ öffentlich zum Mythos erklärte. Eine Studie unter 23.000 Hochschulabsolventen hätte ergeben, dass nicht lange nach einem Arbeitsplatz Ausschau halten muss, wer ein Studium abschließt. Im Durchschnitt, referierte Töchterle, hätten Akademiker bereits nach drei Monaten Arbeit gefunden.

Die Frage ist nur: Wo? Der Tiroler Walter Pichler arbeitete nach seiner Sponsion als Taxifahrer und wechselte später in die Rezeption eines Hotels: Als fertiger Mikrobiologe, der ein Jahr lang auch in den USA studierte, gibt es weit und breit wohl keinen Nachtportier, der besser ausgebildet ist. Am Rande hat auch dieser Job mit Naturwissenschaft zu tun – etwa, „wenn ich Betrunkene in der Nacht auf ihr Zimmer bringen muss, weil sie die Orientierung verloren haben“, feixt Pichler.

Zehn Jahre sind seit dem Studium vergangen, und wahrscheinlich, sagt er, „bin ich auch selbst schuld, dass es so gekommen ist“. Vielleicht hätte er an der Uni bleiben, Dissertation schreiben und forschen sollen – doch er wollte gleich arbeiten, Geld verdienen. „Jetzt ist es zu spät für die Mikrobiologie.“

Eine Bedienungsanleitung für die perfekte Karriere gibt es nicht. Am Ende, sagt der Energiemanager Konrad, „muss jeder selbst schauen, wo er bleibt“. Ein abgeschlossenes Studium sei jedenfalls keine Garantie dafür, dass man den Wunschjob auch bekommt. Es erhöht nur die Wahrscheinlichkeit.

Das belegt auch ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit, das alle bildungspolitischen Predigten ad absurdum zu führen scheint: Wer nämlich 24 ist und sein Jus-Studium nicht beendet hat, kann es immerhin zum Staatssekretär für Integration bringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2011)

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