Von wegen Leben wie Gott in Frankreich: Für Junge ist die Suche nach einem Job eine Sisyphusarbeit, viele werden mit befristeten, schlecht bezahlten Praktika vertröstet. Es droht eine Welle verarmter Rentner.
Vom „Leben wie Gott in Frankreich“ kann für Jugendliche in der Grande Nation nur sehr bedingt die Rede sein: Fast 25 Prozent der 16- bis 25-Jährigen sind arbeitslos. Besonders schwer haben es gering bis gar nicht qualifizierte Personen, doch vermehrt haben auch junge Akademiker, oft sogar solche mit mehreren Diplomen, die größte Mühe, den Einstieg ins Berufsleben zu schaffen.
Laut dem Wirtschaftsblatt „La Tribune“ hatten 2010 von jenen Studenten, die nach mehr als vier Studienjahren abschlossen, nur 64 Prozent Arbeit gefunden – und für mehr als die Hälfte davon war's nur ein befristeter Job.
Der Mangel an Praxis wird vor allem für Hochschulabgänger zu einem Teufelskreis bei der Suche nach einem festen Job. Die meisten beruflich unerfahrenen Bewerber werden in Unternehmen und öffentlichen Diensten ungeachtet ihrer Titel und Abschlüsse mit meist gering bis unbezahlten und auf Wochen oder Monate begrenzten „Stages“ (Praktika) vertröstet.
So wie die 27-jährige Ophélie Latill: Sie hat einen Abschluss der renommierten Pariser Schule für Politische Wissenschaften und zudem Masterdiplome in Urheberrecht und Management, sie spricht Englisch, Russisch und Deutsch – eigentlich sollte sie damit Karriere machen. Doch es kam anders, und sie ist kein Einzelfall: „Man bietet mir immer einen Stage an, der zwischen 15Tagen und einem Jahr dauern kann, oder befristete Verträge für einzelne Missionen. Mit der geringfügigen Entschädigung aber kann man nicht leben. Und als Stage findet man keinen Vermieter. Die verlangen als Sicherheit einen festen Vertrag.“
Vom Nachwuchs besonders begehrte Sektoren wie Kommunikation, Mode und Consulting nützten Praktikanten als Lückenbüßer, um Vollstellen einzusparen und Lohnkosten zu senken. Bis sie ihre Chance kriegt, berät Latill als Sprecherin der Gruppe „Génération P“ andere in ähnlichen Lagen: Das P steht nicht nur für Praktika, sondern vor allem für „prekär“ – denn so seien die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Generation, die in der Presse auch als „Génération sacrifiée“, als „Generation der Geopferten“, firmiert.
Maud D. wiederum hat nach sieben Studienjahren ihr Diplom als Psychologin. Nach zahllosen erfolglosen privaten Bewerbungen ließ sie sich beim Arbeitsamt registrieren. Dort gab ihr der Beamte zu verstehen, dass sie ihre Hoffnungen auf eine ihrer Ausbildung entsprechende Stelle gleich begraben solle. Sie müsse halt „realistisch“ sein: Es sei „normal“, wenn Arbeitgeber von der großen Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt profitierten, um überqualifizierten Kandidaten unterbezahlte Posten anzubieten. Maud bewirbt sich nun um einen Job im Telemarketing „in Erwartung besserer Tage“.
„Es gibt keine zweite Chance.“ Eine pessimistische Sicht der Zukunft der „Generation P“ hat der Soziologe Louis Chauvel: „Aus jungen Arbeitslosen werden prekäre Arbeitnehmer und später verarmte Rentner. Es wird keine zweite Chance für jene geben, die keine erste Chance hatten.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2011)