Aserbaidschan will Europa Gas liefern

(c) AP (SERGEI GRITZ)
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Eine Reise auf der Suche nach den Gasquellen, die Europa von den Lieferungen aus Russland unabhängiger machen sollen, führt durch Aserbaidschan. Als größtes Projekt gilt die Pipeline Nabucco.

Moskau. Fünf Mal eilt er während des Gespräches in seinem illustren Großraumbüro in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zur Landkarte. Wenn der Gast schon etwas über Gaslieferungen nach Europa erfahren wolle, solle er die Geografie verstehen, scheint Elshad Nassirov, Vizechef der staatlichen Gasgesellschaft „Socar“, zu denken. Dann erzählt er eine Episode. „Vor elf Jahren war ich zu Gesprächen über Gaslieferungen in Israel“, sagt er. „Wissen Sie, wie die Grenzbeamtin beim Sicherheitscheck das Motiv meiner Einreise kommentiert hat? Warum wir nicht schon bisher Gas geliefert hätten!“ Ähnliches müsse sich auch Europa fragen, meint Nassirov. Soll heißen: Es ist höchst an der Zeit.

Von der Straße dringt Baulärm in Nassirovs Büro. Seit dem Sieg beim Eurovision Song Contest ist die Aufbruchsstimmung noch spürbarer. Zu einem „kleinen Dubai“ mutiert die Zwei-Millionen-Stadt am Kaspischen Meer. Drei neue Glastürme in Form von Gasflammen prägen bereits die Silhouette der Stadt. Wird die Ölförderung in den nächsten 20 Jahren zur Neige gehen, geht die Gas-Bonanza erst los. Zwar beliefert das Land schon die Türkei, Georgien und Russland. Der wahre Durchbruch zum großflächigen Export auf den lukrativen EU-Markt steht noch bevor. Die Erschließung der schlummernden Gasressourcen könnte beginnen, meint Nassirov: „Aserbaidschan ist wie ein begehrter Apfel. Um ihn zu pflücken, braucht es eine neue Pipeline.“

 

Russland: „Gasquellen unsicher“

Das Interesse der Aserbaidschaner trifft sich mit dem der EU. Um von Russland unabhängiger zu werden, will Europa auf dem Südkorridor Gas aus dem kaspischen Raum importieren. Als größtes Projekt gilt die Pipeline Nabucco (Kapazität: 31 Mrd. Kubikmeter). Russland, das mit dem Konkurrenzprojekt South Stream dagegenhalten will, wertet die Gasquellen für Nabucco in Aserbaidschan und Turkmenistan als unsicher und unzureichend ab.

Die Suche nach dem potenziellen Nabucco-Gas führt uns in den Terminal Sangachal, 45 Kilometer südlich von Baku. Kraftkerle mit dunklen Brillen bewachen das Gelände von 542 Hektar Fläche. Megatanks und Stahlrohre, wohin das Auge reicht. Hier laufen alle Transportwege zusammen. Von hier aus würde Nabucco wegführen. 100 Kilometer entfernt im Meer liegt Aserbaidschans größtes Gasfeld Schah-Deniz. 20 Mrd. Dollar sind noch zu investieren, damit ab 2017 die geplanten 16 Mrd. Kubikmeter jährlich gefördert werden.

„Wollen wir den Zeitplan einhalten, muss 2011 eine Entscheidung über die Lieferverträge mit dem Nabucco-Konsortium fallen“, sagt Tamam Bayatle, Sprecherin von BP Azerbaijan, das gemeinsam mit Socar über das Feld verfügt: Das Gas sei klar für den Südkorridor nach Europa bestimmt.

Bis Ende 2011 braucht das Nabucco-Konsortium verbindliche Lieferzusagen seitens der Produzenten, um eine Investitionsentscheidung treffen zu können. Inzwischen wird am 8.Juni eine Unterstützungserklärung zwischen dem Konsortium und den Transitländern abgeschlossen. Und parallel mit Turkmenistan verhandelt. Während Aserbaidschan auf 0,7 Prozent der Weltgasreserven sitzt, verfügt Turkmenistan über gesicherte 4,3 Prozent. Der prinzipiellen Lieferzusage muss noch die verbindliche folgen. Und weil es für den Anschluss an Nabucco eine Pipeline durchs Kaspische Meer braucht, drängt die EU die Turkmenen zu einer Entscheidung. Die Abstimmung zwischen Turkmenistan und Aserbaidschan ist eine der größten Herausforderungen.

In Aserbaidschan selbst ist man mehr als positiv gestimmt. Socar-Manager Nassirov denkt laut darüber nach, Nabucco mittelfristig überhaupt zur Gänze mit aserbaidschanischem Gas zu füllen. Vorgesehen ist das von den Europäern nicht. Aber Aserbaidschan wird als Energiepartner immer mehr entdeckt. Die deutsche RWE, Mitglied des Nabucco-Konsortiums, verhandelt mit Socar über gemeinsame Förderprojekte.

 

Auch OMV aktiv

Die OMV, die soeben eine Absichtserklärung über intensivere Zusammenarbeit unterzeichnet hat, laut Nassirov ebenso. Man sei an Verschiedenem in Aserbaidschan interessiert, erklärt Michael-Dieter Ulbrich, Chef für Pipelineprojekte in der OMV: „Es gibt vor der aserbaidschanischen Küste zahlreiche Gasfelder, von denen einige wahrscheinlich ähnlich groß sind wie Schah-Deniz. Und wir schätzen, dass ab 2020 weitere in Betrieb gehen könnten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2011)


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