Der Wirtschaftsminister von Thüringen, Matthias Machnig (SPD), traut im Interview mit der "Presse" dem Atomausstieg der schwarz-gelben deutschen Bundesregierung nicht und wartet noch auf konkrete Gesetzestexte.
Die Presse: Der schwarz-gelbe Atomkompromiss deckt sich mit dem Ausstiegsbeschluss von Rot-Grün aus dem Jahr 2001. Ist die SPD zufrieden?
Matthias Machnig: Zunächst einmal liegen hier nur Absichtserklärungen vor, wir haben noch keine konkreten Gesetzestexte. Es stellt sich die Frage, ob nun tatsächlich der unumkehrbare Ausstieg beschlossen wurde oder ob es wieder einmal Hintertürchen gibt.
Danach sieht es nicht aus, es soll auch keine Revisionsklausel geben ...
Das stimmt doch nicht, haben Sie die Gesetzestexte gesehen? Wer solche Dinge im Ungefähren lässt, macht das aus politischen Gründen. Die Frage ist: Gibt es Weichmacher in der Vereinbarung – wie etwa die Verwendung der drei modernsten Meiler als „Sicherheitspuffer“ bis 2022 –, die eine Verlängerung über 2021 hinaus ermöglichen?
Welche Bedingungen stellt die SPD, bevor sie dem Regierungsbeschluss zustimmt?
Der Ausstieg muss diesmal unumkehrbar sein, wir brauchen eine Anpassung der erneuerbaren Energieziele nach oben – also deutlich über 35 Prozent hinaus –, und wir brauchen eine vernünftige Netzausbauplanung. Die Energiewende in Deutschland kann nur funktionieren, wenn wir eine klare Planungs- und Investitionssicherheit haben.
Was wird der Umstieg die Deutschen kosten?
Da gibt es unterschiedliche Schätzungen, die von 0,1 Cent pro Kilowattstunde bis fünf Cent pro Kilowattstunde gehen. Es hätte aber ohnehin einen Modernisierungsbedarf in der deutschen Energieversorgung gegeben. Außerdem werden wir mit dem Einstieg in erneuerbare Energien unabhängiger von Energieimporten wie Strom oder Gas; und diese Energieträger werden sich dramatisch verteuern. Deutschland wird also wettbewerbsfähiger!
Was aber wird der Umstieg die Bundesrepublik in den kommenden zehn Jahren kosten?
Es wird Investitionen von 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr geben.
Die Grünen schwimmen auf einer Erfolgswelle. Springen die Volksparteien deshalb wieder auf den „Öko-Zug“ auf?
Die SPD hat in diesem Bereich keinen Nachholbedarf, wir haben den Kernenergie-Ausstieg schon 1987 beschlossen. Im Gegensatz zu den Grünen denken wir nicht umweltpolitisch, sondern ökonomisch und industriepolitisch. Die Hochkonjunktur der Grünen hat mit dem Fukushima-GAU zu tun.
Die Bundesregierung hat durch das Thema Energiepolitik einen dramatischen Glaubwürdigkeitsverlust erlitten. Erst vor Kurzem hat sie mit großem Pomp den Wiedereinstieg vorgenommen und den rot-grünen Kompromiss mutwillig zerstört. Jetzt gibt es eine radikale Kurskorrektur.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2011)