Bajuwarischer Abschied mit Berliner Kapellmeister

(c) APN (Matthias Rietschel)
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Im Wiener Musikverein ereigneten sich die letzten Konzerte der Münchner Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten, der nach einem Streit mit dem Management schied.

Mit zwei Konzerten im Wiener Musikverein zelebrierten die Münchner Philharmoniker den Abschied von ihrem Chefdirigenten, Christian Thielemann. Das erste der unwiderruflich letzten Programme, die man miteinander absolvierte, galt – wie das Einstandskonzert 2004 im Münchner Gasteig – Anton Bruckners Fünfter Symphonie.

Einen „Haufen sehr guter Konzerte“ hat die zu Ende gegangene künstlerische Partnerschaft ermöglicht, wie der Dirigent unlängst selbst in einem Interview formulierte, doch blieb hinter den Kulissen auch ein Haufen zerschlagenen Porzellans wegen Kompetenzstreitigkeiten mit der Orchesterintendanz zurück.

Auf dem Podium im Goldenen Saal freilich war jenseits der Missstimmung nur mehr jene Spannung zu erleben, die aus musikalischer Eintracht erwächst: Mit ihrem kernigen, erdigen Klang erfüllten die Münchner Philharmoniker Thielemann jeden Wunsch bei seiner auf Größe und Erhabenheit zielenden Interpretation, die sich dennoch niemals in äußerlich wirkendem Weihepathos erschöpfte.

Mit Bedacht setzte er im Stirnsatz die einzelnen Themenblöcke auch durch differenzierte Tempi noch klar, fast bruchhaft voneinander ab, um nach dem satt strömenden und eindrucksvoll gesteigerten Adagio sowie dem pointierten Scherzo schließlich im Finale erst alle disparat scheinenden Elemente zwischen Fuge und Choral zum homogenen Ganzen zusammenwachsen zu lassen.

Die Münchner glänzten bei alldem mit einem brillanten Ersten Hornisten und mit schönen Soli der Holzbläser, wenn auch deren Klangqualität nicht allerhöchsten Ansprüchen genügen mag.

Als entscheidendes Atout erwiesen sich jedoch ihre schier unerschöpflichen Kraftreserven: Kein Stein wankte im Gestemm der riesigen Coda – ein gewaltiger Schluss mit ebensolcher Wirkung.

Ungewohnte Begegnungen, französisch

Scheinbar ganz „unthielemannisch“ das eigentliche Abschiedsprogramm, tags darauf. Freilich hat auch die ungewohnte Konfrontation des Dirigenten mit Musik von Debussy und Ravel eine nostalgische Komponente: Einem Impressionisten-Programm galt die erste gemeinsame Reise, vor seinem Amtsantritt als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Noch ein Déjà-vu-Erlebnis also für die Musiker; und eine Erfahrung mehr für Wiens Musikfreunde. Thielemann, der Klang-Süchtige, neigt zu ruhigen Tempi, gerade dort, wo es gilt, Farbwerte auszukosten. Stücke wie der „Nachmittag eines Fauns“ (mit exzellenter Unterstützung durch einen Wiener Solo-Flötisten!) wurden zu ruhig zelebrierten, tief in die Akkordsäulen lotenden Hörerlebnissen. Gewiss, die Spieltradition der Münchner hat nichts Französisches, keine Leichtigkeit, man spielt eher „La terre“ als „La mer“, spürt auch bei hohem Wellengang das gegenüberliegende Ufer, nicht den unendlichen, in den Himmel mündenden Horizont.

Doch statuierte Thielemann zum Finale ein Exempel, agierte mit ungewohnt eleganten, weich bewegten Gesten – und schon klangen die vielfach ineinander verschlungenen Dreivierteltakt-Linien in Ravels „La valse“ äußerst geschmeidig, ohne dass das Orchester seine Schlagkraft einbüßte. Nicht einmal die Steigerungen im abschließend zugegebenen „Meistersinger“-Vorspiel erreichten höhere Lautstärkegrade als Ravels Vulkanentladungen.

Diese tosten wie der Applaus der Wiener Verehrergemeinde des Dirigenten, die sich den nächsten Musikvereins-Termin schon notiert hat: Kurioserweise beginnt der fragliche Abonnementzyklus der Gesellschaft der Musikfreunde im kommenden Herbst mit einem Gastspiel der Staatskapelle Dresden. Dirigent: Christian Thielemann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2011)

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