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Süditalien: Die Wiege der Mittelmeerdiät

Symbolbild
(c) EPA (Everett Kennedy Brown)
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Unesco hat die "Dieta Mediterranea" zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt, zur Freude des Cilento, einer wenig bekannten Provinz im Süden Kampaniens, wo sich eine besondere Art des Tourismus etabliert hat.

Der Mann im Tourismusbüro in Salerno ist angenehm überrascht. Eine schwedische Familie will sich die „Heimat der mediterranen Diät“ ansehen. „Viele wissen,“ sagt er, „dass die Unesco kürzlich die Mittelmeerdiät als schützenswertes Gut anerkannt hat. Aber wer kennt schon den Cilento, von wo sie eigentlich kommt? Da zucken selbst viele Italiener mit den Achseln.“

Die meisten, die heute auf der Autobahn von Neapel in den Süden am Cilento vorbeirasen, verpassen den 180.000 Hektar großen Parco Nazionale mit seiner reichen Flora und Fauna und seiner beeindruckenden Gebirgsszenerie. Steineichen, Kastanienbäume und Olivenhaine hüllen uralte Dörfer mit Wallfahrtskirchen ein, verstecken geheimnisvolle Grotten, zu denen oft nur Mauleselpfade führen. Und in der Ferne leuchtet das Meer, das sich sanft in den hellen Sandbuchten kräuselt.

Von Agropoli windet sich eine enge Küstenstraße bis hinunter nach Kalabrien. Hinter Haarnadel-kurven rückt plötzlich ein Fischerdorf oder ein belebter Badeort ins Bild. Santa Maria di Castellabate präsentiert sich mit einem kleinen Hafen und einem Strand, zu dem ein interessanter Altstadtcorso führt. Gleich am Ortseingang hat Prinz Belmonte sein antikes Kastell in ein Hotel umfunktionieren lassen. Süditalienisches Ambiente wie einst: Palmen, Brunnen und Höfe, in denen abends die Schritte hallen, weil das Leben auf der Piazza langsam erlöscht.

Im Cilento hat sich eine ganz besondere Art des Tourismus etabliert. Vor ein paar Jahren schlossen sich Hotels, Herrenhäuser und kulturelle Organisationen zusammen, um Feriengästen einen Einblick in Kultur, Geschichte und Alltag zu vermitteln. Wobei Kulturelles und Kulinarisches nahtlos ineinander übergehen, denn die Hausherrinnen sind zum Teil Archäologinnen, Volkswirtinnen oder ausgebildete Köchinnen. Da erfährt der Gast bei hausgemachten Ravioli und pikant marinierten Sardellen, wie man am besten Zitronenlikör herstellt. Oder dass bereits Aristoteles die Heilkraft der Kapern schätzte, die hier wild an Mauern und Felsen sprießen. Und natürlich einiges über die Prinzipien der mediterranen Diät.

 

Dr. Cholesterins Feldforschung

Der amerikanische Biologe und Ernährungswissenschaftlicher Ancel Keys aus Colorado Springs war von dieser Gegend und seinen Menschen angetan. Keys kam 1944 als Beauftragter des Pentagons das erste Mal nach Italien, um die Ernährung der US-Armee zu überprüfen. 1951 nahm er an einem Kongress in Rom teil und erfuhr, dass Herz- und Kreislauf-Erkrankungen im Süden Kampaniens weitgehend unbekannt waren.

Warum also, fragte sich der Wissenschaftler, sind kardiovaskuläre Erkrankungen in den USA so weit verbreitet? Ein Jahr später begann Keys an der Universität in Neapel den engeren Zusammenhang zwischen der lokalen Ernährung und dem Gesundheitszustand der Kampanier zu erforschen – und ließ sich 1962 schließlich in dem heute 400 Seelen zählenden Küstenort Pioppi am Golf von Salerno nieder.

In einer über 20 Jahre dauernden „Sieben-Länder-Studie“ untersuchte Keys die Ernährungsgewohnheiten von 12.000 Personen – außer in Italien auch in Griechenland, im damaligen Jugoslawien, in Deutschland, Finnland, Japan und den Vereinigten Staaten und fand heraus, dass Herzinfarkt, Diabetes und Arteriosklerose in direktem Zusammenhang mit der Ernährungsstil stehen. In seinem Buch „Eat Well and Stay Well“ stellte er die These auf, dass Kreislauferkrankungen deutlich zunehmen, je weiter man sich von der mediterranen Diät entfernt. Seine Entdeckungen brachten ihm bereits 1961 ein Titelbild des „Times Magazine“ ein – und den Beinamen Mr. Cholesterin. „Die von Keys entwickelten Leitlinien der heute weltberühmten Mittelmeerdiät sind aber nicht als Schonkost oder radikale Einschränkung der Mahlzeiten zu verstehen“, erklärt Enzo Crivella, Besitzer eines eleganten Cafés in Sapri, der sich seit Jahren für Slow Food einsetzt, „sondern vielmehr als Lebensstil auf der Basis gesunder Ernährung, bei der ballaststoffreiche Mischkost und frische Zutaten das A und O sind. Statt Milchprodukte und viel Fleisch kommen Teigwaren, Fisch, Obst und frisches Gemüse, mit kalt gepresstem Olivenöl und Heilkräutern angemacht, auf den Tisch. Dazu natürlich ein Glas Wein – am besten von einem Landgut. Fast Food,“ schmunzelt er, „ist bei uns so etwas wie ein Schimpfwort.“

Die Speisekarten in den kleinen Trattorien locken mit Gerichten wie Risotto mit wilden Spargelspitzen, Spaghetti mit Artischocken, Heuschreckenkrebsen und Feldsalat, Seezunge mit Basilikum, Minze und Salbei oder Brottorte – mit Zutaten aus heimischer Landwirtschaft. „Natürlich kommen auch kräftige Esser auf ihre Kosten“, meint Crivella. „Es kommt nur darauf an, nicht über eine bestimmte Kalorienzufuhr hinauszuschlemmen.“

Es heißt, dass Keys einmal auf die Frage „Warum ausgerechnet der Cilento?“ geantwortet haben soll, dass er hier sein Leben um 20 Jahre verlängern wolle. Der Biologe starb 2004 im Alter von 101 Jahren. Kürzlich hat Pioppi seinem berühmten Einwohner – für didaktische Zwecke – ein kleines Museum, das „Musuo Vivente Della Dieta Mediterranea“ gewidmet. Es soll dem Besucher bildlich die Grundlagen einer bewussten Ernährung vermitteln.

 

Hemingways Inspiration

Die salernitanische Küste faszinierte auch Ernest Hemingway. Er mietete sich in den 60er-Jahren für ein paar Monate in Acciarola ein. Das Fischerdorf mit seinem hübschen kleinen Hafen und nicht Cojímar auf Kuba soll den Schriftsteller, erzählt man sich hier gern, zu seinem Roman „Der alte Mann und das Meer“ inspiriert haben. Mit etwas Fantasie fällt es nicht schwer, sich den passionierten Angler im Boot auf dem glasklaren Wasser vorzustellen. Wie er seine Abende in den alten Weinstuben in Pisciotta oder Marina di Camerota verbracht hat, wo teilweise noch seine vergilbten Fotos hängen.

Heute zieht es Strandliebhaber hauptsächlich nach Capo Palinuro, den berühmtesten Badeort des Cilento. Seine beiden Hauptstraßen sind Einkaufs- und Flaniermeilen mit Bars, kleinen Restaurants und Handwerksläden, ohne wirklich touristisch zu sein. Immer wieder fällt der Blick durch die schmalen Gassen aufs Meer, das unterhalb der meist terrassenartig angelegten Hotels ans Ufer schwappt. Und auf spektakuläre Sandstrände und Felsformationen mit Höhlen, die man meistens nur mit dem Boot erreicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2011)