Vorbild Macbeth: Waschen wir die Hände in Unschuld!

Die EHEC-Affäre hat bewirkt, dass die Menschen häufiger das Waschbecken benützen. Könnte das auch ihre Psyche verändern?

Subtext

Wo man nur hinsieht in diesen Tagen: Eine Hand wäscht die andere. Das Wasser fließt, die Seife schäumt, es pritschelt. In Reaktion auf die durch EHEC-Bakterien verursachten Krankheiten haben Politiker und Behörden es den Menschen nahe gelegt, und die tun es, bewusst oder unbewusst, öfter als sonst.

Sie tun es in Unschuld, manche sagen das auch so und spielen damit, bewusst oder unbewusst, auf Matthäus 27,24 an: Pilatus, heißt es dort, „nahm Wasser und wusch die Hände vor dem Volk und sprach: ,Ich bin unschuldig an seinem Blut.‘“ Lady Macbeth wusch sich im Wahn die Hände, um einen imaginären Blutfleck zu beseitigen; und ihr Mann fragte: „Will all great Neptune's ocean wash this blood clean from my hand?“

In diesem Sinn sprechen Psychologen vom Macbeth-Effekt. Sie haben in Experimenten gezeigt: Wer sich gerade die Hände gewaschen hat (oder auch nur Wörter im Kopf hatte, die mit Waschen, Seife etc. zu tun haben), reagiert mit weniger Ekel auf grausliche Vorstellungen und mit weniger Abscheu auf Unmoralisches. Mehr noch: Händewaschen befreit von Schuldgefühlen. Und umgekehrt: Wer böse Geschichten im Kopf gehabt hat, verspürt einen stärkeren Drang nach körperlicher Reinigung. Wer sich schuldig fühlt, will sich die Hände waschen. Es könnte sein, dass der Evangelist deshalb Pilatus die Hände waschen lässt, um ihn Lügen zu strafen: Er sei gar nicht unschuldig.

Der Gleichklang von körperlicher Sauberkeit und moralischer Unbescholtenheit findet sich in vielen Sprachen. „Les mains sales“ bedeuten bei Jean-Paul Sartre politische Schuld, und in Mandarin steht „ein Paar schmutziger Hände“ für einen Dieb. Rituelle Waschungen gibt es in vielen Religionen: Die Mikwe der Juden soll genauso die Seele reinigen wie das Wudu der Muslime, die Katholiken beträufeln sich mit Weihwasser, und auch die Taufe ist eine Waschung.

So gesehen läuft in diesen Tagen ein gigantisches Experiment ab. Die Menschen waschen sich häufiger die Hände, um sich von bösen Keimen zu befreien. Wenn die Sache mit dem Macbeth-Effekt stimmt, müssten sie sich also (im Durchschnitt) weniger schuldbewusst fühlen. Was die Frage offen lässt: Heißt das, dass sie nachher moralischer handeln – oder vielmehr, dass sie nach der Waschung weniger streng mit sich sind? Man muss nicht gleich die Kriminalstatistik bemühen, man kann ja kleine Sünden zählen: Werfen die Leute am nächsten Sonntag mehr oder weniger Geld in die Behälter an den Zeitungsständern? Werden mehr oder weniger Leute beim Schwarzfahren erwischt?

Man wird sehen. (Auch, ob man überhaupt etwas sieht.) Mit einem handfesten Effekt des Händewaschen-Booms rechnen wir sicher: Die bakterielle Kontamination der Salzmandel- und Erdnuss-Schüsselchen in Bars sollte abnehmen. Nie konnte man so hygienisch knabbern wie jetzt.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2011)

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