Weiße Exportflecken rund ums Schwarze Meer

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Ap(c) AP (Burhan Ozbilici)
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Schwarzmeerregion lockt Investoren und Exporteure. Während Österreich in den EU-Staaten Osteuropas bestens etabliert ist, haben im neuen Hoffnungsmarkt die Deutschen, Italiener und Skandinavier die Nase vorn.

Wien. Die Gegend hat fast alles, was einen Hoffnungsmarkt ausmacht: Sie liegt nicht weit weg von zu Hause, es gibt Öl und Gas, die Staatsschulden sind niedrig, die Wirtschaft wächst deutlich stärker als in traditionellen Exportregionen – und auch die Bevölkerung nimmt kräftig zu, kauft, baut, konsumiert. Bei allen Unterschieden haben die Länder rund ums Schwarze Meer das gleiche Potenzial, zu einer ähnlichen Boomregion zu werden wie Zentral- und Osteuropa im zweiten Jahrzehnt nach dem Zerfall der Sowjetunion.

Mit einem Unterschied: Österreich zählt diesmal nicht zu den Pionieren. Vor allem nicht in der Türkei, dem wirtschaftlich wichtigsten Land in der Gruppe. Italiener, Deutsche, aber auch Finnen und Schweden haben dort früher und stärker Fuß gefasst. Damit ergibt sich, positiv betrachtet, ein ungehobenes Potenzial für Investoren und Exporteure – und damit ein Hebel für eine weitere Internationalisierung der heimischen Wirtschaft. Das ist das Fazit einer Studie, die das Wifo im Vorjahr erstellt und nun aktualisiert hat.

Mehr Dynamik als in der EU

Türkei, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Ukraine und Moldawien – das sind die betrachteten Länder nahe dem Schwarzen Meer. Und natürlich Rumänien und Bulgarien, aber die gehören spätestens seit dem EU-Beitritt 2007 wirtschaftlich in eine andere Welt, weshalb sie das Wifo nur zu Vergleichszwecken heranzieht. Diese beiden „alten“ Wirtschaftspartner waren schon lange vor ihrem EU-Beitritt ein begehrtes Terrain für heimische Unternehmer. In Rumänien ist Österreich sogar wichtigster Investor. Aber die Dynamik ist schwach, das Potenzial fast aufgebraucht: Nur um fünf und drei Prozent nahmen die Warenexporte nach Rumänien und Bulgarien im Vorjahr zu. Die beiden Volkswirtschaften haben sich von der Krise noch immer nicht erholt.

Ganz anders geht es südlich und östlich des Schwarzen Meeres zu: Österreichs Exporte in die Türkei schossen 2010 um 40 Prozent nach oben, bei Aserbaidschan waren es gar 74 Prozent. Die Türken und die Kaukasus-Bewohner haben das Vorkrisenniveau längst wieder erreicht, der Wirtschaftsmotor brummt immer lauter.

So ähnlich das Potenzial, so unterschiedlich die Voraussetzungen der sechs Volkswirtschaften. Die meisten tragen das Erbe der zerbrochenen Sowjetunion als tonnenschwere Last im Gepäck. Die Wirtschaftsleistung in der Ukraine, in Georgien und Moldawien ist noch immer nur etwa halb so groß wie vor der Transformation zur Marktwirtschaft. Armenien und Aserbaidschan haben sich weit schneller aus der Schrumpfungsphase befreit und holen nun deutlich auf.

Der Star am Bosporus

In Aserbaidschan ist das BIP schon doppelt so hoch wie 1989. Das verdankt das kleine Land dem Öl und Gas, das in rauen Mengen unter der Erde schlummert. Rohstoffe machen die Hälfte der gesamten Wertschöpfung aus.

Der Star am Schwarzmeer aber ist die Türkei, mit mehr als 50 Prozent der Wirtschaftsleistung der Region. Das Land zwischen Europa und Asien kannte keine post-kommunistischen Einbrüche und ist seit 1989, von kürzeren Rezessionen abgesehen, kontinuierlich gewachsen: in Summe um 130 Prozent. Das Pro-Kopf-Einkommen nahm aber nur um 70 Prozent zu, weil auch die Bevölkerung kräftig wuchs, auf heute 78 Millionen. Das macht die Türkei zu einem hoch attraktiven Binnenmarkt. Umso mehr, als sich die Wirtschaft ähnlich dynamisch entwickelt wie in China und Brasilien.

Das Potenzial des Konsums in einem großen Land hat die Türkei mit der Ukraine gemeinsam, in der es im Übrigen weit weniger rund läuft: Sie leidet immer noch unter dem harten Rückschlag der Krise. Aber noch eine Ähnlichkeit ist den Wifo-Tüftlern aufgefallen: Sowohl Türken als auch Ukrainer fragen als Importwaren ziemlich genau das nach, was österreichische Exporteure anzubieten haben. Ungenutzte Möglichkeiten also, wohin man blickt. Türkei Seite 24

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.06.2011)

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