'Unterschichten-TV': Die Angst der Mittelschicht vor dem Abstieg

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Der Begriff "Unterschichtenfernsehen" schwelt durch das deutsche Feuilleton. Eine Tagung zu diesem Thema an der Universität Wien geht ab Donnerstag der Frage nach, ob Medienkonsum falsch oder richtig sein kann.

Seit Harald Schmidt in seiner Verdummungsschelte gegen Sat1 2005 den Begriff „Unterschichtenfernsehen“ in die Debatte warf, schwelt er durch das deutsche Feuilleton – als Schuldzuweisung für Missstände, die sich am Rand der Gesellschaft zeigen. Nur: Was genau ist damit gemeint? „Schmidt hat das ,Unterschichtenfernsehen‘ populär gemacht. Er hat den Ausdruck aber nicht erfunden: Er geht auf den Historiker Paul Nolte zurück, der in seinem Buch ,Generation Reform‘ die Problematik einer wegbrechenden Mittelschicht und einer fehlenden Leitkultur anspricht“, sagt Andrea Seier vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Uni Wien, die eine Tagung zu diesem Thema organisiert.


Auch Nolte habe den Begriff mit einer deutlich abwertenden Haltung versehen. „Da werden Leute denunziert für zu viel Medienkonsum, für eine falsche Einstellung zu etwas wie Leitkultur. Da heißt es: Das Geld wird falsch investiert, in technische Geräte, aber nicht in Bildung oder gesundes Essen.“ Mittlerweile habe die öffentliche wie die wissenschaftliche Debatte Beispiele parat: „In der Diskussion über die ATV-Sendungen ,Saturday Night Fever‘ und ,Geschäft mit der Liebe‘ taucht genau dieser Begriff wieder auf.“


„Der Begriff Unterschicht wird benutzt, um eine benachteiligte Schicht zu denunzieren. Dafür wird die Problematisierung von richtigem und falschem Medienkonsum verwendet.“ Gehört also jeder der Unterschicht an, der sich gern solche Sendungen ansieht? „Das würde ich nicht behaupten.“

Kritiker des TVs: Reich-Ranicki

Der Begriff „Unterschichtenfernsehen“ stehe, so Seier, für den Qualitätsverlust des Fernsehens generell. „Die Programmchefs der Sender sagen: Ihr könnt unsere Zuseher nicht als Unterschicht bezeichnen. Wenn ihr findet, Komasaufen ist übertrieben, dann geht doch aufs Land: Wir erfinden das ja nicht.“ Oft gebrauchtes Argument: Die Leute wollten so etwas eben sehen. „Das ist natürlich zu kurz gegriffen – die Leute wollen sehen, was angeboten wird.“ Sie verstehe zwar die Kritik an bestimmten Formaten im Reality-TV, nicht aber die Diffamierung ihrer Zuschauer.


Ein harter Kritiker des heutigen TV-Programms ist Marcel Reich-Ranicki, was er 2008 mit seiner Rede beim Deutschen Fernsehpreis bewiesen hat. „Er hat den Begriff „Unterschichtenfernsehen‘ nicht verwendet, aber eine kritische Position eingenommen – aus einem Kulturkonservatismus heraus. Da streiten Vertreter der Kultur und des Feuilletons gegen die, die sich von ihnen abwenden. Wenn über Unterschichten gesprochen wird, dann spricht da die Mittelschicht, und sie spricht über ihre eigenen Ängste vor dem sozialen Abstieg“, sagt Seier. Ein Pessimismus, der sich hartnäckig hält: „Den Hinweis, dass die Kultur an Niveau verliert, kennt man seit Jahrhunderten.“


Die Kultur verändere sich eben stark, sagt Seier: „Mich stören auch die Rechtschreibfehler der Studenten – aber gleichzeitig explodiert das Wissen. Die werden nicht dümmer, aber sie schreiben SMS und verändern die medialen Gewohnheiten.“ Auch beim Fernsehen: „Früher hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine Gemeinschaft adressiert. Heute kann ich den ganzen Tag ATV oder RTL2 sehen – oder Arte. Was dabei zerfällt, ist die Idee des Fernsehens als Inklusionsmedium, das alle anspricht.“


Tagung ab Donnerstag bis 11. 6. im Depot (1070) bzw. im TFM (Hofburg).

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