Otunbajewa: "Früher wurde gestohlen, heute wird kontrolliert"

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Die kirgisische Präsidentin Rosa Otunbajewa ist der Stargast auf dem World Economic Forum in Wien. Im Interview mit der "Presse" spricht sie über die Vorzüge der Demokratie und die Vorbildrolle ihres Landes.

Wien. Sie ist der Stargast auf dem World Economic Forum in Wien. Wenn Rosa Otunbajewa wie gestern, Mittwoch, durch die Hofburg schreitet oder fließend in mindestens fünf Sprachen mit den internationalen Vertretern aus Wirtschaft und Politik spricht, wird ihr tiefste Ehrfurcht entgegengebracht. Zwei Revolutionen hat die 60-jährige Grande Dame Zentralasiens in den vergangenen sechs Jahren in ihrem Heimatland Kirgisistan mitgemacht. Hat beim zweiten Volksaufstand im Vorjahr und trotz massiver ethnisch bedingter Gewaltausschreitungen jenen Überblick bewahrt, der anschließend zu einer Verfassungsänderung hin zu einer parlamentarischen Demokratie und den ersten freien Wahlen in Zentralasien geführt hat. Derzeit Interimspräsidentin, scheidet die studierte Philosophin laut Abmachung mit Ende des Jahres aus dem Amt. Der Zeitplan in Wien war bis zur letzten Minute ausgefüllt. Vor dem Treffen mit Bundespräsident Fischer gewährte Otunbajewa der „Presse“ dennoch ein Interview.

Die Presse: Sie haben zwei Revolutionen mitgemacht und können auf große Erfolge verweisen. Welche Lehren haben Sie – vor allem wenn wir jetzt auch nach Nordafrika blicken – aus Ihrer Erfahrung gezogen?

Rosa Otunbajewa: Ja, in unserem Fall hat es zweier Anläufe bedurft. Aber Ihre Frage nach der Lehre ist schwer zu beantworten!

Wem soll man sie stellen, wenn nicht Ihnen?

Bleiben wir bei Kirgisistan: Denken Sie, dass Ihr Land den Point of no Return überschritten hat?

Ich denke ja, denn wir haben eine Regierungsform gefunden, die es allen politischen Kräften, und zwar auch unseren Gegnern, ermöglicht, ihre Meinung auch zu äußern. Und auch zu fundamentalen Fragen, die die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung des Landes betreffen. Wir haben innerhalb unseres Landes unsere Widersprüche – regionale und in gewissem Grad auch nationale. Die parlamentarische Regierungsform aber ermöglicht es, die Opposition in die Regierung einzubeziehen. Die Opposition befindet sich nicht außen, sondern innen. Sie hat ihre Bühne, kontrolliert wichtige Ausschüsse im Parlament wie etwa Budget, Finanzen, Kontrolle über Sicherheitskräfte und Menschenrechte. Ja, und sie kann die Machthaber kontrollieren. Früher wurde gestohlen, heute wird kontrolliert.

Warum hat Ihrer Meinung nach das kirgisische Beispiel nicht auch in anderen zentralasiatischen Staaten, die allesamt autoritär geführt sind, Schule gemacht?

Wissen Sie, wir leben unsere Entwicklung. Wir haben unsere eigenen Probleme und lösen sie auf unsere Art. Wir drängen niemandem etwas auf und wollen auch niemandem ein Beispiel abgeben. Es ist unser Schicksal, unsere Geschichte, unser Leben.

Der Westen beurteilt das aber ganz gerne. Worin irrt er in seinen Einschätzungen Zentralasiens?

Pierre Morel (EU-Spezialvertreter für Zentralasien, Anm.) hat heute sehr gut dargelegt, welches Knäuel an Problemen in Zentralasien liegt, und zwar politisch, wirtschaftlich, sozial. Das kann man nicht mit einem ritterlichen Handstreich lösen. Wir haben uns die Aufgabe gestellt, einen richtigen Regierungsmechanismus einzurichten. Mir scheint, wir haben ihn gefunden. Das ist auch sehr fragil. Wir müssen die politischen Kräfte erziehen, dass sie verstehen, dass dieser Weg der einzig mögliche ist und man nicht mehr zurückgehen darf. Die Bewahrung dieses Weges ist für uns eine sehr ernste Angelegenheit.

In Wien wurde diskutiert, wie der Westen Zentralasien helfen könnte. Was denken Sie?

Nun, er kann zeigen, wie es richtig geht. Die Regierungsform (der parlamentarischen Demokratie, Anm.) ist ja trotz allem kompliziert, aber wissen Sie: Mit dieser Form, ist es dennoch leichter zu regieren als in jeder beliebigen Diktatur, in der alles verschlossen und geheim ist. Der Westen hat uns bisher wenig geholfen, was etwa die Entwicklung von Parteien betrifft. Die Parteien wurden bei uns ja erst in den vergangenen fünf Jahren zu einem Phänomen und einem Vehikel der politischen Entwicklung. Wir würden sehr wollen, dass man uns dabei hilft.

Zentralasien muss von Investoren erst entdeckt werden. Um den Markt durch eine nennenswerte Größe attraktiv zu machen, wird eine engere regionale Kooperation gefordert. Wie ist Ihre Position, Sie haben schwierige Nachbarn?

Es braucht diese Kooperation. Aber wir haben auf dem Weg dahin viele ungelöste Fragen, wie etwa zu Land, Grenzziehungen und Wasservorräten. Man kann diese Fragen nicht einfach überspringen. Auch wir brauchen Zeit. Bei gewissen Fragen kann man die Lösung nicht künstlich beschleunigen. Die Probleme müssen verdaut werden, die Lösung muss reifen. Hier sind wir auf Expertisen angewiesen, was die Staatsgrenzen betrifft und den Konsensus zwischen den ethnischen Gruppen – ein Problem, an dem wir derzeit auch laborieren.

Werden Sie der Zollunion zwischen Weißrussland, Russland und Kasachstan beitreten?

Wir haben diese Aufgabe für uns gestellt.

Zur Person

Rosa Otunbajewa (geb. 1950) ist seit 2010 Präsidentin der Republik Kirgisistan. Ihre politische Karriere fing 1986 an, als sie Außenministerin wurde. 1989 war sie für das Außenministerium der UdSSR tätig und kehrte 1992 nach dem Zerfall der Sowjetunion nach Kirgisistan zurück. Nach ihrer Rückkehr war sie dreimal als Außenministerin (1992, 1994 und 2005) und zweimal als Botschafterin (USA 1992 und Großbritannien 1997) tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2011)

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