Schengen: Abfuhr für Bulgarien und Rumänien

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Abschaffung der Grenzkontrollen ist möglich. Justiz und Polizei der jüngsten EU-Mitglieder sind weiterhin zu korrupt und schwach. 2011 werden Bulgarien und Rumänien keine Vollmitglieder des Schengen-Raumes.

Luxemburg. Bulgaren und Rumänen müssen weiterhin auf unbestimmte Zeit den Reisepass zücken, wenn sie in die anderen EU-Länder reisen wollen. Frühestens im September werden sich Europas Innenminister wieder mit der Frage befassen, ob die Grenzkontrollen zu den beiden jüngsten EU-Mitgliedern aufgehoben werden sollen. Doch das Innenministertreffen am Donnerstag in Luxemburg machte schon jetzt klar: 2011 werden Bulgarien und Rumänien keine Vollmitglieder des Schengen-Raumes.

Die Grenzschutzbehörden der beiden Staaten erfüllen zwar die technischen Anforderungen, um am Schengen-Raum der Reisefreiheit ohne Grenzkontrollen teilnehmen zu können. Doch zahlreiche Regierungen – allen voran Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Belgien, Schweden, Finnland und Österreich – halten Justiz und Polizei der beiden Länder weiterhin für zu stark von Korruption, organisiertem Verbrechen und fehlender Rechtssicherheit geschwächt, um die Aufhebung der Kontrollen zu gestatten.

Im Sinne dieser Gruppe von Skeptikern des bulgarischen und rumänischen Reformeifers zog am Donnerstag der niederländische Minister für Asyl und Zuwanderung, Gerd Leers, eine klare Linie: „Es ist zwingend erforderlich, dass alle angenommenen Justizreformen in Rumänien und Bulgarien wirksam und unumkehrbar sind. Das Schengen-System basiert auf gegenseitigem Vertrauen, weil wir neue Länder bitten, unsere gemeinsamen Grenzen zu bewachen.“

„Zu früh, jetzt eine Entscheidung zu fällen“

Leers nannte so wie Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und ihr deutscher Amtskollege Hans-Peter Friedrich den Mitte Juli zu veröffentlichenden nächsten Bericht im Rahmen des sogenannten „Kooperations- und Kontrollverfahrens“ als Lackmustest. Das ist jenes Verfahren, das man sofort nach dem Beitritt der beiden Staaten im Jahr 2007 hastig hochzog, als man feststellen musste, dass die bulgarische und rumänische Justiz und Polizei nicht dem Niveau eines EU-Mitglieds entsprechen. Acht solcher Berichte gab es bisher, substanzielle Fortschritte allerdings nicht. Und selbst wenn der Julibericht unerwartet positiv ausfallen sollte, bleiben die Grenzkontrollen für Rumänen und Bulgaren heuer noch bestehen. „Auf jeden Fall ist es zu früh, jetzt eine Entscheidung zu fällen, und es kann einige Zeit dauern, bis wir so weit sind“, sagte der niederländische Minister.

Frankreichs historisches Eigentor

Die eigentliche politische Entscheidung darüber, ob Bukarest und Sofia vertrauenswürdig genug für den Rest der EU sind, wird aber ohnehin nicht von den Innenministern gefällt. „Das läuft längst direkt zwischen Sarkozy und Basescu“, sagte ein EU-Diplomat aus einem Schengen-Land zur „Presse“.

Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy ist einer der stärksten Gegner der raschen Abschaffung der Grenzkontrollen, sein Kabinett versucht, direkt mit Rumäniens Präsidenten Traian Basescu eine Einigung zu finden. Sarkozy muss eine peinliche Scharte der französischen Außenpolitik auswetzen, denn die Franzosen haben mit Italien seinerzeit trotz zahlreicher Warnungen auf Rumäniens schnellen Beitritt gepocht.

Grund dafür war die Hoffnung, einen frankophilen Verbündeten in die zusehends englischsprachige Union zu holen. Dieses historische Eigentor schmerzt die Franzosen und erklärt ihre harte Haltung. „Die Erfüllung der technischen Voraussetzung ist ein notwendiges, aber nicht ausreichendes Kriterium“, brachte ein französischer Diplomat die neue Pariser Härte auf den Punkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2011)

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