Leben (fast) ohne Sauerstoff

Leben fast ohne Sauerstoff
Leben fast ohne Sauerstoff(c) AP (EDGARD GARRIDO)
  • Drucken

Gab es in Urzeiten schon aerobe Lebewesen, für die Sauerstoff lebensnotwendig war? Umgebungen mit kleinsten Sauerstoffkonzentrationen werden nun erforscht.

Unsere Atemluft besteht zu etwa 20 Prozent aus Sauerstoff. Das war nicht immer so: Der Sauerstoff stammt fast ausschließlich von Lebewesen, von den ersten Pflanzen, die vor mehr als 2,4 Milliarden Jahren begannen, das Kohlendioxid der Atmosphäre mittels Fotosynthese zu binden und Sauerstoff zu produzieren. In Sedimenten aus dieser Zeit findet sich eine rote Schicht aus Eisenoxid – diese Verbindung aus Sauerstoff und Eisen kennen wir gut: Es ist Rost.

Menschen und Tiere sind aerobe Lebewesen, das heißt, für uns ist dieser Sauerstoff lebenswichtig. Bis vor Kurzem sagte die Lehrmeinung, dass es vor der Zeit der großen Sauerstoffproduktion kein aerobes Leben gegeben haben konnte. Diese These wird nun infrage gestellt, unter anderem von Don Canfield von der Universität Odense in Dänemark. Auch die sehr geringen Sauerstoffkonzentrationen vor dieser Zeit könnten bereits aerobes Leben ermöglicht haben.

Um das zu beweisen, müssen Bedingungen gesucht werden, die jenen der Urzeiten unseres Planeten ähneln. Solche gibt es auf der Erde auch heute noch, in bestimmten Tiefseeregionen. In mehreren Kilometern Tiefe findet man Bereiche mit extrem geringen Sauerstoffkonzentrationen – bis zu eine Million mal weniger als im restlichen Meerwasser. Dort will eine Gruppe um Canfield den Beweis erbringen, dass aerobes Leben auch in solchen Umgebungen möglich ist. Sie hat aber das Problem, dass es einfach keine geeigneten Messgeräte für diese geringen Sauerstoffkonzentrationen gibt.

Hier kommen Forscher um Ingo Klimant von der TU Graz ins Spiel. Sie sind Spezialisten für die Herstellung von Messgeräten für Sauerstoff und haben die technischen Lösungen für Canfields Projekt.

„Noch nie wollte jemand so geringe Sauerstoffkonzentrationen messen“, erzählt Klimant. Die Grazer Forscher betreten mit diesem Projekt also Neuland. Sie benutzen dafür eine Substanz, die bei Bestrahlung mit Licht selbst zum Strahlen angeregt wird – ganz ähnlich wie die Leuchtziffern von Uhren. Dieses Leuchtverhalten ändert sich bei Berührung mit Sauerstoff, und zwar schon bei minimalsten Konzentrationen.


Messen der Leuchtkraft. Der Effekt nennt sich „dynamische Fluoreszenzlöschung“. Dabei wird das Leuchten des Materials – eine dünne Folie – durch Kollision mit Sauerstoffatomen abgeschwächt. Wie stark diese Abnahme ist, kann sehr genau gemessen werden. Der große Vorteil an diesem Verfahren ist, dass die Diagnose quasi von außen möglich ist, nur mithilfe von Licht. Es ist also ausgeschlossen, dass mithilfe des Messgeräts versehentlich Sauerstoff ins System eingebracht wird, was die Ergebnisse verfälschen könnte.

„Wir haben diese Technik schon erfolgreich in praktischen Anwendungen für die Kraftwerksindustrie und bei Brauereibetrieben eingesetzt“, erklärt Klimant. Auch dort sind präzise Sauerstoffmessungen nötig, um die Qualität von Bier sicherzustellen oder aber der Bildung von Rost vorzubeugen. Allerdings sind die dort gemessenen Konzentrationen um das Hundertfache bis Tausendfache höher. „Es ist schön, dass wir nach Industrieprojekten unseren Horizont noch erweitern können“, freut sich Klimant.


Umschalten des Stoffwechsels. Diesmal geht es um reine Grundlagenforschung. Die Wissenschaftler verfolgen zwei verschiedene Ansätze: Einerseits wollen sie extrem sauerstoffarme Bedingungen im Labor herstellen, in denen dann systematisch alle Stoffwechselprozesse von Colibakterien beobachtet werden können. Diese haben die Fähigkeit, bei Sauerstoffmangel ihren Stoffwechsel umzustellen. Ähnlich wie bei der alkoholischen Gärung durch Hefe oder auch beim Übersäuern von Muskeln durch Sauerstoffmangel kann dann ohne Sauerstoff weiter Energie aus Zucker gewonnen werden. Die interessante Frage ist: Wann schaltet der Stoffwechsel um? Andererseits werden auch Sonden in die Tiefsee geschickt, um nach den sauerstoffarmen Zonen zu suchen. Ein Forschungsboot soll fünf Jahre unter anderem vor Chile und Costa Rica unterwegs sein. Die Grazer Forscher entwickeln in beiden Fällen die Messgeräte. Die Arbeit wird finanziert von einem „ERC Advanced Grant“ vom Europäischen Forschungsrat, der exzellente Forscher bzw. Projekte auszeichnet. Das Fördervolumen beträgt 2,5 Millionen Euro.


Ozean näher als das Weltall. Vordringen in extrem lebensfeindliche Umgebungen – das Projekt erinnert ein wenig an Raumfahrtprojekte, die ebenfalls eine große Tradition an der TU Graz haben. Klimant bestätigt dies, gibt aber zu bedenken: „Der Ozean ist uns viel näher und leider noch viel zu wenig erforscht. Es werden immer noch laufend unzählige neue Arten entdeckt. Ich finde das spannender, als Wasser auf dem Mars zu suchen.“

Es gibt außerdem einige sehr naheliegende Gründe, warum wir den Ozean besser verstehen sollten: Im Meer existieren mikrobielle Lebensgemeinschaften, die Kohlendioxid als Karbonat binden können. Davon zeugen z.B. Gebirge aus dem Karbonatgestein Kalk, das fast ausschließlich biologischen Ursprung hat. Und schließlich wird uns genau die Frage, wie CO2 aus der Atmosphäre gebunden werden kann, in Zukunft aller Voraussicht nach noch intensiv beschäftigen.

Exzellente Forschung

Ingo Klimant (* 1964 in Sachsen) schrieb seine Dissertation an der Uni Graz. Dann forschte er in Bremen und Regensburg und kam 2001 als Professor für Analytische Chemie an die TU Graz.

Der ERC Advanced Grant ist eine der höchstdotierten Förderungen der europäischen Forschungslandschaft (bis zu 3,5 Mio Euro für fünf Jahre). Derzeit laufen in Österreich 22 dieser vom Europäischen Forschungsrat geförderten Projekte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.