Italien: Atom-Niederlage bringt Berlusconi ins Wanken

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Italiens Bürger haben ihrem Regierungschef Berlusconi eine weitere schwere und diesmal parteienübergreifende Niederlage beigebracht. Die Wähler stimmten mit 90 Prozent gegen die Atompläne der Regierung in Rom.

Zwei Wochen, nachdem Silvio Berlusconi die Kommunalwahlen in geradezu spektakulärer Weise verloren hatte, haben Italiens Bürger ihrem Regierungschef eine weitere, noch schwerere und diesmal parteienübergreifende Niederlage beigebracht. An der Volksabstimmung vom Sonntag und Montag beteiligten sich deutlich mehr als 50 Prozent der gut 47 Millionen Wahlberechtigten. Damit ist das Referendum gültig und die Strategie der Regierung gescheitert, die Wähler zum Fernbleiben von den Urnen zu drängen.

Die Bürger waren aufgerufen, Ja oder Nein zu drei Plänen der Regierung zu sagen: zur Wiedereinführung der Atomenergie, zur Privatisierung der Trinkwasserversorgung und zu einer Art Privatgesetz, mit dem Berlusconi sich selbst von der Teilnahme an seinen Gerichtsterminen befreien wollte.

Bereits nach Bekanntwerden der „außerordentlichen, geradezu unglaublichen“ Beteiligungszahlen – nach vorläufigen Ergebnissen um die 57 Prozent – sprach Oppositionsführer Pier Luigi Bersani am Montagnachmittag von einer „Scheidung zwischen Land und Regierung“; Berlusconi habe keine Mehrheit mehr. Andere Oppositionsführer verlangten den unverzüglichen Rücktritt der Regierung.

Lega Nord verärgert

Auch Berlusconis Bündnispartner, die „Lega Nord“, macht erneut Druck auf den Premierminister: „Wir können uns nicht erlauben, bis zum Ende der Legislaturperiode ohne klare Strategie dahinzusiechen“, sagte der hochrangige Lega-Politiker und Innenminister Roberto Maroni in einem Interview mit der Tageszeitung „Corriere della Sera“.

Die Partei fiebert nun dem jährlichen Treffen der Anhänger am kommenden Sonntag in der lombardischen Ortschaft Pontida entgegen. Parteichef Umberto Bossi will dort in seiner Ansprache Berlusconi klare Forderungen für seinen Verbleib in der Regierungskoalition stellen.

„Unnötiges“ Referendum

Dass die Stimmung im Volk aber eindeutig gegen die Atomenergie ist, hat sich in den Monaten vor dem Referendum schon abgezeichnet. Nach vorläufigen Ergebnissen vom Montagnachmittag wurden die Atompläne der Regierung mit 90 Prozent der abgegebenen Stimmen abgeschmettert. Bereits 1987 hatten die Wähler mit 80 Prozent ihrer Stimmen das Ende der damals blühenden italienischen Atomwirtschaft durchgesetzt; das Unglück im japanischen Fukushima hat seit März dieses Jahres die Ängste neu entfacht.

Von Ängsten geprägt war auch die Kampagne über die Zukunft der italienischen Wasserversorgung; weite Teile auch des rechten, konservativen, katholischen Publikums befürchteten eine „allein auf Gewinn ausgerichtete Kommerzialisierung eines unteilbaren Allgemeinguts“.

Weil die Fronten quer durch die Parteienlandschaft gingen und weil auch im regierenden rechten Lager keinerlei Einigkeit zustande gekommen war, hatte Berlusconi die Abstimmung für seine Anhänger freigegeben. Er hatte das Referendum allerdings als „unnötig“ bezeichnet und – mit eigenem Beispiel vorangehend – die Bürger dazu gedrängt, ihr „Recht aufs Nichtwählen“ in Anspruch zu nehmen. Die Strategie war eindeutig: Berlusconi legte es darauf an, den Zulauf zum Referendum unter der kritischen Marke von 50 Prozent zu halten; damit wäre die Volksabstimmung ungültig gewesen – und Berlusconi hätte seine Politik ungestört weiterbetreiben können.

Die Opposition hingegen setzte auf eine umso stärkere Motivierung. Und um Berlusconis Anhänger nicht zu vergraulen, verzichteten selbst die extremen Linken im Wahlkampf vollständig darauf, die dritte Frage zum großen politischen Thema zu erheben: die nämlich, ob Berlusconi sich per Gesetz selbst von seinen Gerichtsterminen befreien dürfe. Das Verfassungsgericht hatte das entsprechende Gesetz bereits zurechtgestutzt. Meinungsumfragen im Vorfeld des Referendums gab es nicht – oder sie wurden, wie Berlusconi es regelmäßig mit seinen eigenen Studien macht, nicht veröffentlicht.

Regierungspropaganda

Noch während der zweitägigen Abstimmung hatte die Zeitung „Il Giornale“ versucht, das Referendum zu torpedieren. Das Blatt, das dem Bruder Berlusconis gehört, aber sich selbst als Sprachrohr des Regierungschefs bezeichnet, titelte Montagfrüh, das Quorum werde erreicht – in der unverkennbaren Absicht, den Zustrom der Bürger zu den Urnen zu stoppen.

In der italienischen Nachkriegsgeschichte waren die Bürger vor diesem Sonntag bereits fünfzehnmal zu einer Abstimmung über insgesamt 62 Themen gerufen worden. Die Beteiligung sank in den letzten Jahrzehnten stetig; zum bisher letzten Mal wurde das zur Gültigkeit nötige Quorum – 50 Prozent der Wahlbürger plus eine Stimme – vor genau 16 Jahren erreicht; damals ging es unter anderem um Fragen der gewerkschaftlichen Mitbestimmung.

Chronologie

Sein Sieg bei der Wahl 2008 brachte Silvio Berlusconi zurück an die Macht. Er trat zum dritten Mal in 14 Jahren das Amt des italienischen Premiers an.

Die Party-Affären.
Im Mai 2009 erklärte die 40-jährige Patrizia d'Addario, sie habe Geld erhalten, um an wilden Partys bei Berlusconi teilzunehmen und mit dem Premier die Nacht zu verbringen.

Fini springt ab.
Nach einem Streit trennte sich sein langjähriger Verbündeter Gianfranco Fini im Juli 2010 von Berlusconi. Fini gründete eine eigene Fraktion im Parlament.

Die Ruby-Affäre.
2010 kamen Vorwürfe auf, Berlusconi habe sein Amt missbraucht, um das minderjährige Callgirl „Ruby“ aus dem Gewahrsam der Polizei zu befreien.

Niederlage bei Kommunalwahlen.
Bei den Kommunalwahlen vor zwei Wochen fuhr Berlusconis Partei eine bittere Niederlage ein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2011)

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