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Gut, dass wir die Türken haben: Sie holen das Beste aus uns heraus!

Aufgeklärt, europäisch, feministisch und modern: So sehen sich Österreicher nur, wenn sie sich mit der Türkei vergleichen. Der Vergleich steigert ihr Wohlbefinden und macht sie mächtig stolz.

Quergeschrieben

Vergangene Woche habe ich an dieser Stelle geschildert, wie sehr sich Österreicher und Türken ähneln, was politische Befindlichkeiten betrifft. Jenen zahlreichen Lesern und Leserinnen, die diesen Vergleich ganz und gar nicht goutierten, kann ich mit einem zweiten, tröstlicheren Gedanken aufwarten: Dass die Türkei gleichzeitig in der Lage ist, das Beste aus Österreich herauszuholen.

Ein paar Beispiele. Österreich ist ein EU-skeptisches, manchmal gar EU-feindliches Land. Jede kleine Konfrontation mit der Türkei jedoch lässt uns unverhofft in die Rolle von Europäern schlüpfen. Plötzlich behaupten unsere Politiker, im Namen Brüssels zu sprechen, europäische Interessen zu vertreten und europäische Werte zu schützen. Besonders gut gefallen sie sich in der Rolle des gewissenhaften EU-Portiers, der den draußen Wartenden freundlich, aber bestimmt ihre Plätze zuweist.

Österreich ist ein konservatives Land, gesellschaftlich wie kulturell. Das identitätsstiftende Leitbild, auf das sich beinahe alle Gruppen einigen können, ist der naturverbundene, kernige Bergbauer, der mit der Sense seine Wiese mäht. Kaum ist von der Türkei die Rede, mutieren wir jedoch zu Progressiven. Loben die Errungenschaften der Moderne und den Fortschritt. Und der naturverbundene, kernige anatolische Bergbauer, der mit der Sense seine Wiese mäht, mutiert zum Sinnbild verachtenswerten gesellschaftlichen Rückschritts.

Mit den Menschenrechten ist der Österreicher normalerweise nicht permanent auf Du und Du. Außer es geht um die Menschenrechte in der Türkei. Da mutiert er zum flammenden Verfechter der Pressefreiheit und wirft sich für die Rechte kultureller, sprachlicher, religiöser und sogar sexueller Minderheiten in die Schlacht.

Auch fromm sind die Österreicher. Bloß wenn Türken eventuell noch frommer sind, wird uns Gottesfürchtigkeit suspekt, und wir setzen uns vehement für die umfassende Trennung von Staat und Kirche ein.

Besonders schön ist diese zauberhafte Wandlung zu beobachten, sobald es um die Gleichberechtigung von Frauen geht. Ist ja normalerweise eher ein Thema, das alle anödet. Außer bei der Türkin. Die Türkin (von der behauptet wird, sie sei stets zweifelsfrei an ihrem Kopftuch zu erkennen) mutiert zum Inbegriff des unterdrückten, geschundenen, eingesperrten Opfers, das von uns befreit werden muss.

Die Türkin schafft es, selbst unauffällige Konservative zu feministischen Aktivisten zu machen, die in allen Details über Zwangsheiraten und Ehrenmorde Bescheid wissen. Und plötzlich spürt man, wie rundum der Stolz schwillt. Denn ist es nicht vergleichsweise großartig, wie toll wir in Österreich unsere Frauen behandeln? Und sollten die dafür nicht manchmal ein bisschen dankbarer sein?

Die Türkei hilft uns, herauszufinden, wer wir eigentlich sein wollen. Sie gibt Österreich die Chance, sich als westliches, aufgeklärtes Land zu fühlen. Im Prinzip ist das eine großartige Sache. Bloß eines sollten wir nicht vergessen: Dass das Bild von der Türkei und den Türken, das wir da mit viel Leidenschaft zeichnen, um uns anschließend daran abzuarbeiten, ein ziemlich virtuelles ist. Mit der real existierenden Türkei hat es ähnlich wenig zu tun wie mit der echten, lebendigen Türkin im Nachbarhaus. Die müssten wir nämlich erst einmal kennenlernen.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2011)