Italien: Die Ära Berlusconi neigt sich dem Ende zu

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Nach der jüngsten Abstimmungsschlappe wird es für Italiens Premier immer schwieriger, die Debatte um seine Nachfolge zu unterdrücken. Viermal sagten über 90 Prozent Nein zu Vorhaben der Regierung.

An das Pfingstwochenende des Jahres 2011 wird sich Italien noch lange erinnern. Nichts hat Silvio Berlusconi unversucht gelassen, um das Referendum über die Frage, wie es das Land künftig mit der Atomkraft hält, zu verhindern. Am Ende schlugen alle taktischen Winkelzüge des italienischen Premiers fehl. Trotz der sehr knappen Zeit, die für die Mobilisierung zur Verfügung stand, trotz der Versuchung, das erste Ferienwochenende lieber am Strand zu verbringen, ging mehr als die Hälfte der Italiener wählen. Viermal sagten über 90 Prozent Nein zu Vorhaben der Regierung.

Es ist die zweite vernichtende Niederlage für Berlusconi innerhalb nur weniger Wochen, und es ist das zweite Mal, dass sein politischer Instinkt versagt hat. Schon die Kommunalwahlen im Mai stilisierte er zum Plebiszit über seine Person – und verlor. Das Referendum dagegen tat er, da es sich schon nicht verhindern ließ, als unwichtig ab. Das sollte zum politischen Bumerang werden.

Ohne Zweifel hat die Katastrophe im japanischen AKW Fukushima der ohnehin emotionsgeladenen Atomdiskussion neuen Schwung verliehen. Doch ging es um weit mehr als um die Entscheidung, ob in Italien Kernkraftwerke gebaut und die öffentliche Wasserversorgung privatisiert werden sollen. Die Italiener haben bewiesen, dass sie ihre Demokratie ernst nehmen – nicht einmal in der Schweiz werden derart hohe Beteiligungen erreicht.

Im Sinn der Demokratie war vor allem die vierte Teilabstimmung bedeutsam: Dürfen der Ministerpräsident oder andere Regierungsmitglieder aus sogenannten legitimen Verhinderungsgründen Gerichtsverfahren fernbleiben, in denen sie selbst angeklagt sind? Zwar hat das Verfassungsgericht Teile dieses Gesetzes bereits für ungültig erklärt, doch einer großen Mehrheit reichte das beim Referendum nicht. Berlusconis Anwälte werden es nun sehr viel schwerer haben, mit neuen Regelungen ad personam durchzukommen.

Nicht eingelöste Versprechen

Am empfindlichsten muss Berlusconi treffen, dass nicht nur die stets verhöhnten „Linken“ und „Kommunisten“ gegen ihn gestimmt haben. Entgegen seinen Erwartungen gingen auch viele seiner Anhänger und erst recht die des Koalitionspartners Lega Nord zu den Urnen. Sogar Minister votierten gegen ihn. Fast 20 Jahre lang hat der Unternehmer aus Mailand die italienische Nachkriegspolitik geprägt wie niemand zuvor. Das Referendum wurde zum Misstrauensvotum gegen seine Politik, gegen seinen Regierungsstil und seine Aushöhlung des Rechtsstaates, zu einer Generalabrechnung mit einem alternden Populisten, dessen Zenit überschritten ist, der das aber nicht wahrhaben will.

Trotz der überwältigenden Mehrheit nach den letzten Wahlen 2008 hat Berlusconi kaum eines seiner Versprechen wahrgemacht, sondern widmete all seine Energie den endlosen Abwehrschlachten gegen die Justiz. Derweil ächzen die Italiener nach wie vor unter den Folgen der Wirtschaftskrise und warten auf Steuererleichterungen. Junge Italiener haben es selbst bei guter Ausbildung immer schwerer einen Job zu finden. Bisher konnte all das Berlusconi kaum etwas anhaben. Er beschwichtigte und versprach „epochale Reformen“. Und war dann am stärksten, wenn es darum ging zu kämpfen und die zerstrittene Opposition vorzuführen.

Debakel bei Kommunalwahlen

Berlusconi garantierte Siege und üppige Teilhabe an den Pfründen der Macht. Selbst die Anklage im Fall Ruby bewog ihn nicht zu einem Rücktritt, und als er nach dem Bruch mit Gianfranco Fini seine Mehrheit verloren hatte, kaufte er sich rasch eine neue zusammen. Erneut gab er den erfolgreichen omnipotenten Selfmademan, der Politik auf seine Weise und nach seinen Regeln betreibt.

Dieser Nimbus hat schon bei den Kommunalwahlen erheblich gelitten. Es traf Berlusconis Partei im Innersten, dass ausgerechnet ihre Bastion Mailand an einen politischen Außenseiter verloren ging. Jetzt ist Berlusconi weiter geschwächt, und das nicht etwa, weil seine Gegner so stark wären. Die Diskussion um seine Nachfolge unter seinen eigenen Getreuen zu unterdrücken, wird nun noch schwieriger.

Vielen seiner Getreuen dämmert, dass eine Ära ihrem Ende zugeht. Nicht heute und nicht morgen, vielleicht auch erst im Wahljahr 2013. Noch sind die Alternativen nicht in Sicht. Nur umkehrbar ist dieser Prozess nicht mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2011)

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