„Die Angst ist in die Ukraine zurückgekehrt“

Verfolgt. Pater Borys Gudziak, griechisch-katholischer Priester und Rektor der Katholischen Universität im westukrainischen Lviv, über seine Überwachung durch den Geheimdienst und den Kampf gegen die Kultur der Korruption.

Kiew. Für jemanden, der im Visier des ukrainischen Geheimdienstes steht, wirkt Pater Borys Gudziak erstaunlich gelassen. Wenn man nichts zu verstecken habe, sei man innerlich frei, sagt Gudziak. Freilich, als er von der Beschattung erfuhr, war die psychologische Last zunächst groß. „Dann fragt man sich: Kann ich mir selbst trauen? Versuche ich etwas zu verbergen? Nein. Also mache ich weiter.“

Borys Gudziak wägt seine Worte genau ab. Er trägt ein weißes Hemd mit Priesterkragen und schwarze Hosen. Der 50-Jährige ist griechisch-katholischer Priester und Rektor der Katholischen Universität in Lviv (Lemberg). Gudziak wuchs in den USA auf, kam Anfang der 90er-Jahre in das Land seiner Eltern, um beim Wiederaufbau der in der Sowjetunion verbotenen Kirche zu helfen. Aus der noch im Exil in Rom von Patriarch Josyf Slipyj gegründeten Theologischen Akademie Lviv ist die Ukrainische Katholische Universität (UCU) geworden, an der 1400 Studenten lernen. „Wir sind ein Ort der Freiheit“, sagt Gudziak. „Wir tun simple Dinge. Wir sind kein Nest von radikalen Revolutionären.“

Offenbar muss man kein radikaler Revolutionär sein, um ins Visier des ukrainischen Geheimdienstes SBU zu gelangen. Im Mai des Vorjahrs suchte ein Mitarbeiter Gudziak auf. Er solle seine Studenten vor der Teilnahme an illegalen, regierungskritischen Protesten warnen, erklärte er, und forderte Gudziaks Unterschrift. Gudziak lehnte ab, machte den Fall publik, internationale Medien berichteten.

Der Aufschrei ist verhallt, die UCU steht weiterhin unter Beobachtung. „Unsere Telefone werden überwacht“, sagt Gudziak. Seinen Bekannten wurden Listen seiner Telefongespräche gezeigt. Mitarbeiter würden beschattet, der SBU verlange Informationen über Gäste der Universität oder über die Konferenzteilnahmen des Rektors. „Die Angst ist in die Ukraine zurückgekehrt“, sagt Gudziak.

Nur die Beziehungen zählen

Gudziak bezweifelt, dass er ein Einzelfall ist. Im Land gibt es 170 Universitäten und 800 andere höhere Bildungseinrichtungen. „Ich glaube, es gab viele Besuche. Doch wie viele Rektoren melden sich bei sozialen oder bildungspolitischen Themen zu Wort? Wie viele Rektoren sprechen über Korruption? Warum nicht? Es gibt Druck.“ Auch andere Entwicklungen stimmen ihn nachdenklich. Nicht nur zivile Freiheiten seien nach dem politischen Aufbruch in Richtung Westen – der Orangen Revolution von 2004/2005 – wieder geschrumpft, auch um die Wirtschaft stehe es schlecht. „Was zählt, ist nicht Leistung oder Wettbewerb, sondern Beziehungen zu den Behörden.“

Das Hauptproblem der post-sozialistischen Ukraine sieht er im Mangel an Vertrauen – einem Nährboden der Korruption. „Der unbewusste Reflex der Menschen ist: Ja, es gibt Regeln, aber sagen Sie mir, wie man die Dinge wirklich tut. Das System funktioniert nicht.“ Es gebe nur eine Möglichkeit, Vertrauen in Gesetze und Gesellschaft herzustellen: durch funktionierende Vorbilder. Ein solches soll seine Universität sein. „Wir wollen zeigen: Es kann Regeln geben, an die man sich hält, es kann Worte geben, die Bedeutung haben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2011)

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