Nikolić: "EU hat Serbien kein Ultimatum gestellt"

(c) EPA (SRDJAN SUKI)
  • Drucken

Der zum Proeuropäer gewandelte Nationalist Tomislav Nikolić sieht keinen Widerspruch zwischen dem Anspruch auf den Kosovo und Serbiens EU-Ambitionen: "Herr Strache vertritt hier die Meinung von ganz Serbien."

Die Presse: Als Radovan Karadžić 2008 verhaftet wurde, haben Sie vehement protestiert. Jetzt, bei der Festnahme von Ratko Mladić, nicht. Wie das?

Tomislav Nikolić: Damals habe ich die Radikale Partei angeführt, und diese Partei hat den Protest auf die Straße getragen. Aber die Radikalen hatten nie den Wunsch, an die Macht zu kommen. Die Fortschrittspartei (sie spaltete sich 2008 von den Radikalen ab, Anm.) ist etwas anderes: Wir sind eine proeuropäische Partei und die Auslieferung Mladićs ist ja eine Bedingung im Beitrittsprozess. Wenn wir uns gegen die EU stellen würden, könnten wir die Wahlen in Serbien auch nicht gewinnen. Deswegen wollten wir auch nicht dagegen protestieren.

Und was ist Ihre persönliche Meinung?

Meine persönliche Meinung ist unwichtig. Karadžić habe ich persönlich gekannt, Ratko Mladić habe ich nie getroffen. Viel wichtiger ist, was der Staat tun muss. Wir müssen unsere internationalen Beziehungen verbessern und unsere Aufgaben erledigen.

Apropos Staat: Es gibt den Verdacht, dass Mladić Helfer gehabt hat. Soll man sie vor Gericht stellen?

Ein Gesetz in Serbien verbietet, mutmaßliche Kriegsverbrecher zu unterstützen und ihnen zu helfen, sich zu verstecken. Bis jetzt hat man nur Freunde und Familienangehörige gefunden. Aber wenn jemand aus dem Staatsapparat Informationen für sich behalten hat, um auf den „richtigen“ Moment für die Auslieferung zu warten, muss man das auch verfolgen. Mladić wurde an dem Tag gefasst, als die EU-Außenbeauftragte in Belgrad war, und ein paar Tage, bevor Serge Brammertz (Chefankläger des Haager Jugoslawien-Tribunals, Anm.) vor der UNO gesprochen hat. Es war klar: Ohne eine Auslieferung von Ratko Mladić würde es kein positives Resümee der EU geben.


Es gibt ein Dilemma zwischen Serbiens EU-Ambitionen und dem Anspruch auf den Kosovo, der sich 2008 von Serbien abgespalten hat. Wie kann man dieses Dilemma lösen?

Bis jetzt hat niemand aus der EU ein Ultimatum gestellt und gesagt: Wenn ihr den Kosovo nicht aufgebt, kommt ihr nicht in die EU. Herr Strache vertritt hier die Meinung von ganz Serbien: Das Land möchte EU-Mitglied werden, und Serbien hat sich vom Kosovo nicht getrennt.


Die Regierung brachte eine mögliche Teilung des Kosovo ins Gespräch. Was sagen Sie dazu?

Das ist die Idee von Präsident Tadić, die er öffentlich nicht äußern will. Deswegen hat er den sozialistischen Innenminister vorgeschickt. Diese Idee ist gegen die Verfassung Serbiens, es kann aber eine Möglichkeit für einen neuen Dialog sein. In dem Teil des Kosovo, wo die Serben leben, haben die Albaner keine Macht, und es ist schwer vorstellbar, dass sie dort jemals die Regierungsgewalt ausüben können, so wie Serbien keine Macht mehr in Prishtina hat und es nicht möglich sein wird, sie wiederherzustellen.

Wenn die EU Serbien noch heuer als Beitrittskandidaten akzeptiert, können Tadićs Demokraten das als Erfolg verbuchen. Warum sollten die Menschen dann Ihre Partei wählen?

Die Regierung hat nicht alles für den EU-Beitritt getan, was man tun muss. Manches hat sie sogar ganz falsch angefasst, etwa die Justizreform: Anstelle der Richter wurden Leute aus den Regierungsparteien gesetzt. In zehn Jahren sind mehr als 80 Mrd. Euro Investitionen und Privatisierungsgelder geflossen, aber wir sind ärmer als vorher. Oder die Korruption in Serbien: 25 Prozent des Staatsbudgets verschwinden einfach.

Zur Person

Tomislav Nikolić (*1952 in Kragujevac) führte jahrelang die ultranationalistische Serbische Radikale Partei, deren Chef Vojislav Šešelj sich vor dem Haager Jugoslawien-Tribunal verantworten muss. 2008 kam es zum Bruch, Nikolić spaltete sich ab und gründete die proeuropäische Fortschrittspartei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2011)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

EU-Kritiker Strache setzt sich für serbischen EU-Beitritt ein

Strache bemüht sich seit einiger Zeit um die Stimmen in Österreich lebender Serben und geht eine Partnerschaft mit der Fortschrittspartei des gewandelten Nationalisten Tomislav Nikolić ein.
Wenn Strache regiert fuehlen
Außenpolitik

Kanzler Strache? "Serben würden sich Zuhause fühlen"

Strache und die serbischen Nationalisten gründen eine gemeinsame europäische Bewegung. Ziele: "Kinderreichtum" in einem "Europa der Vaterländer" und der EU-Beitritt Serbiens.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.