Finanzen der Gemeinden: Kuckuck ruft vom Kirchturm

Finanzen Gemeinden Kuckuck ruft
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Schon 70 Prozent der Gemeinden schreiben rote Zahlen. Steigende Kosten spitzen die Lage zu. Dahinter aber stehen strukturelle Mängel: Zu teure Projekte, fehlende Anreize zum Sparen und zu kleine Gemeinden.

Schön ist es in Nappersdorf-Kammersdorf. Malerische Kellergassen und stattliche Presshäuser gab es dort immer schon. In den letzten zehn Jahren aber hat sich die Weinviertler Kommune in allen sechs Katastralgemeinden ganz fein herausgeputzt: mit einem Veranstaltungszentrum, einer Freizeitanlage samt Schwimmteich, einer sanierten Volksschule, einem Kindergarten, einem neuen Kanal und frisch asphaltierten Straßen. Dem Dorfleben fehlt es an nichts. Es gibt einen Fußballverein, Tennisplätze und Jugendzentren. Im Sommer wird das Kellergassenfest gefeiert, im Winter der Feuerwehrball. Der Besucher staunt – und fragt sich, wozu es hier vier Feuerwehrhäuser braucht. Das neueste ist gerade im Bau und soll nächstes Jahr eröffnet werden. Mit einem großen Fest, versteht sich.

Da scheint es kaum einen der 1266 Einwohner zu stören, dass auch auf ihm ein kommunaler Schuldenberg von weit mehr als 10.000 Euro lastet. Und dass sein Ort damit weit vorn liegt im Ranking der am höchsten verschuldeten Gemeinden Österreichs. „Die Bürger goutieren die Investitionen“, sagt Herbert Bauer, ihr Bürgermeister (SPÖ), ein ehemaliger Baupolier, der sich nun ausschließlich seinem Amt widmet. „Sie kennen die Finanzen der Gemeinde, ich spiele mit offenen Karten.“

Andere goutieren freilich weniger, was sich in Österreichs 2357 Kommunen abspielt: der Rechnungshof etwa, die Landeshauptleute und die Finanzministerin. Denn immer mehr Orte rutschen in die roten Zahlen: Im Jahr 2005 gab es nur 976 solche „Abgangsgemeinden“, vier Jahre später schon 1642 – knapp 70 Prozent. Tausendfach wiederholt sich der finanzielle Sündenfall: Prestigeprojekte, die der Eitelkeit der Bürgermeister schmeicheln und mit falschen Zahlen geplant werden. Einnahmen, die nie zur Tilgung von Schulden verwendet werden, sondern stets für neue Ausgaben. Ungeschickte Spekulationen auf fernen Finanzmärkten. Fehlende Anreize zum Sparen. Und vor allem eine falsche Struktur mit zu vielen zu kleinen Gemeinden.

Doch die Bürgermeister und Gemeinderäte weigern sich störrisch, Aufgaben mit den Kollegen von nebenan zu bündeln oder gar politisch zu fusionieren. Das würde einen Verlust an Macht und Ämtern bedeuten, und dagegen kämpfen die Honoratioren mit Klauen und Zähnen an. Und mit Mythen: Da wird die lokale Identität beschworen, die Solidarität und der Zusammenhalt der kleinen Gemeinschaft. Werte, die angeblich allesamt den Dorfbach runtergehen würden, rückte man näher zusammen.

Auf 11,5 Milliarden Euro summiert sich der kommunale Schuldenstand in Österreich (ohne Wien). Und das ist erst ein Teil der Wahrheit. Denn die Lokalkaiser machen begeistert mit beim Schuldenverstecken, das ihnen Länder und Bund vorexerzieren. Defizitäre Gemeindebetriebe werden in eigene Gesellschaften ausgelagert und verschwinden aus den Bilanzen. Die Kommune übernimmt dafür großzügige Haftungen. Seit dem Gemeindefinanzbericht für 2010 kennt man ihre ungefähre Höhe: weitere 6,4 Milliarden Euro an potenziellen Schulden, die jederzeit schlagend werden können.

Lauter kleine Griechenländer. „Die Situation der österreichischen Gemeinden ist dramatisch“, gesteht auch Helmut Mödlhammer, der Präsident des Gemeindebundes, freimütig ein. Die Schuld an der Misere sieht er in den Folgen der Wirtschaftskrise – und bei Bund und Ländern, die den Gemeinden immer mehr finanzielle Lasten auferlegen. Tatsächlich tragen die Kommunen große Teile der Kosten für Altenpflege, Krankenhäuser und Kinderbetreuung, über die „Transfers“, die sie dem Land abliefern müssen.

Diese Kosten steigen stark an: für Alte und Kranke durch die demografische Entwicklung, für die Kinder durch neue Vorgaben wie ein verpflichtendes Kindergartenjahr. An diesen Gesetzen wirken die Gemeinden aber nicht mit. Auch ihre Einnahmen können sie kaum steuern. Nur die Höhe der Gebühren für Müll, Wasser oder Müllabfuhr dürfen sie selbst bestimmen – ein Spielraum, den sie in den letzten Jahren vielerorts weidlich genutzt haben, auch wenn die Einnahmen zweckgebunden sind. Alles in allem aber sinkt der finanzielle Spielraum rapide.

Eine „dramatische Lage“ also? Wer die Bundesschulden (210 Milliarden Euro) kennt, wird angesichts der Zahlen kaum vom Sessel fallen. Auch ist der Gesamtschuldenstand der Kommunen in den letzten fünf Jahren nicht wirklich dramatisch gestiegen (um zwölf Prozent). Knapp die Hälfte der Gemeinden konnten trotz Wirtschaftskrise Schulden abbauen. Das große Problem sind die vielen kleinen und schlecht wirtschaftenden Gemeinden, die es nicht mehr schaffen. Mit sinkenden Einwohnerzahlen, verunsicherten Bürgern und frustrierten Bürgermeistern, die am Tropf des Finanzausgleichs hängen oder zum Landeshauptmann betteln gehen müssen. Lauter kleine Griechenländer.

Mit einem Unterschied: Die Gemeindevorstände können auf Beistand von oben vertrauen, wenn es nicht mehr weitergeht. In Nappersdorf-Kammersdorf etwa beläuft sich der Schuldenstand auf 15 Millionen Euro. Gern würde der Bürgermeister noch ein Seniorenheim bauen – nur womit? „In den nächsten zehn Jahren wird sich da nicht viel abspielen“, sagt Bauer. „Wir müssten das Land um Geld bitten“, und dafür ist die Investitionssumme dann wohl doch zu hoch. Aber bei der Feuerwehr hat es funktioniert: Hätte Erwin Pröll nicht 150.000 Euro für das mittlerweile vierte Feuerwehrhaus der Großgemeinde lockergemacht, wäre das monumentale Zwei-Trakt-Gebäude für zwei Ortsteilfeuerwehren eine Bauruine geblieben.

Der Bittgang zum Landesvater ist freilich immer möglich. Dafür gibt es „Bedarfszuweisungsmittel“, wie es im barocken Deutsch der Kameralisten heißt. In ihren Genuss kommen „spezifische Gemeinden für außerordentliche Projekte“ oder „für den Ausgleich des ordentlichen Haushalts“, verrät das Glossar des Finanzberichts. Sprich: Wer ordentlich klotzt oder seinen Karren gleich an die Wand fährt, wird belohnt.

„Strukturelle Probleme werden so noch unterstützt“, klagt Peter Biwald, Chef des Zentrums für Verwaltungsforschung. Damit wird jeder Anreiz zum Sparen in sein Gegenteil verkehrt. Nur im ganz schlimmen Fall bekommt ein Bürgermeister wirklich Probleme: wenn er unter Kuratel gestellt wird und ein Regierungskommissär an seiner Statt die Geschäfte führt. So geschehen im obersteirischen Fohnsdorf, das sich mit einer Therme total übernommen hat. Nicht viele Projekte scheitern so spektakulär, aber die Fallen sind immer die gleichen: Die Einnahmen werden viel zu optimistisch geschätzt und die laufenden Folgekosten schlicht übersehen. Aber immer gilt: Läuft es schief, wird es schon jemand richten – in letzter Konsequenz der Steuerzahler.

Manche Bundesländer haben die Perversion des negativen Anreizes erkannt. Kärnten versucht das System umzudrehen und vergibt mehr Mittel an Gemeinden, die mit ihrem eigenen Geld gut Haus halten. Auch in Salzburg wird das Füllhorn des Landes nun nach transparenteren Kriterien ausgegossen. Woanders heißt die Devise noch: sich mit dem Landeskaiser gut stellen. Je kleiner freilich der Ort, umso weniger gute Argumente sind bei den Audienzen im Gepäck. Und auch sonst gilt: Die Kleinen haben es am schwersten.

Kleiner Ort, große Schulden. Die Tiroler Gemeinde Gramais, am Fuße der Lechtaler Alpen auf 1328 Meter Seehöhe, hält gleich zwei Rekorde, einen kuriosen und einen traurigen: Es ist die kleinste Gemeinde Österreichs – und die am meisten verschuldete. Denn auf jedem der 53 Einwohner lasten Miese in der Höhe von 34.868 Euro. An Schlafstörungen leidet Bürgermeister Michael Fasser, der mit seiner ÖVP-nahen Bürgerliste alle neun Mandate im Gemeinderat besetzt, dennoch nicht: In einer so kleinen Gemeinde wirke sich jede Bautätigkeit dramatisch aus. Und die Investitionen seien alternativlos gewesen: Über Jahrzehnte hinweg hatte Gramais, am Ende eines langen Seitentals gelegen, Probleme mit der Stromversorgung. Steinschläge und Leitungsstörungen stellten die Energieversorgung auf die Probe. Also investierte man auf Pump: in zwei kleine Wasserkraftwerke und obendrein in eine neue Kläranlage. Daher ist Gramais nun zum Sparen gezwungen. Der Straßenräumdienst wurde ausgelagert, so manches Projekt verworfen. Immerhin: Die Kraftwerke seien laufend gewinnbringend, in einigen Jahren hätten sich die Investitionen amortisiert, prophezeit der Bürgermeister.

Seit Jahren predigen Experten wie Biwald oder Friedrich Schneider von der Uni Linz (siehe Interview unten)eine stärkere Kooperation zwischen kleinen Gemeinden – das Reizwort „Fusion“ wagen sie kaum mehr in den Mund zu nehmen. Mit solchen und anderen Sparmaßnahmen, sind sie sich einig, wären fünf bis zehn Prozent aller Kosten einzusparen. Das ergäbe eine Bandbreite von 400 bis 900 Millionen Euro – und die Gemeinden hätten wieder Luft, Spielraum und die Chance, auf eigenen Füßen zu stehen.

Aber selbst unter Feuerwehrleuten, wie es sie etwa in Nappersdorf-Kammersdorf in so reicher Zahl gibt, ist Kooperation über den Dorfrand hinweg keine Selbstverständlichkeit. Daniel Kosak, der Sprecher des Gemeindebunds, hat sich in Belgien umgesehen. Er berichtet, das freiwillige Feuerwehrwesen sei durch Zusammenlegungen gänzlich zusammengebrochen, und nun müsse man wieder vielerorts die doppelt so teure Berufsfeuerwehr beschäftigen.

(c) Die Presse / GK

So findet sich offenbar immer ein Argument für das dörfliche Einzelkämpfertum – auch wenn der Kuckuck längst vom Kirchturm ruft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2011)

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