Jean-Marc Rapp: "Geld vom Steuerzahler direkt an die Unis"

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Jean-Marc Rapp, Chef der europäischen Universitäten-Vereinigung, mahnt mehr Uni-Autonomie und mehr Internationalität ein. Dass Exzellenz vor allem in den USA zu finden sei, liege an - verzerrenden - Rankings.

Die Presse: Warum ist Exzellenz eher an den US-Universitäten zu finden als an europäischen Hochschulen? Oder trügt der Schein?

Jean-Marc Rapp: Tatsächlich sieht es danach aus, wenn man sich die Rankings anschaut. Doch die sind eine totale Vereinfachung der Realität. Die Rankings stützen sich besonders stark auf Forschungsleistungen und hier insbesondere auf Forschung in Bereichen wie Naturwissenschaften und Medizin. Damit werden solche Rankings in Wahrheit zu Karikaturen der Wirklichkeit, sie konzentrieren sich nur auf einen winzigen Teil der Qualität von Unis. Tatsache ist aber auch, dass europäische Universitäten in fast allen Rankings sehr gut repräsentiert sind unter den, sagen wir, 200 besten Universitäten weltweit. Man schaut aber leider oft nur an die Spitze, so wie im Sport. Die Vordersten machen einen großen Eindruck, und die anderen vergisst man mitunter.

Die europäischen Unis sind also besser, als Rankings das glauben machen?

Auch manche US-Unis könnten eigentlich besser sein, als Rankings glauben machen. Hier wie drüben könnte das insbesondere auf Unis zutreffen, die sich auf die Gesellschafts- und Humanwissenschaften spezialisiert haben, von Österreich bis Großbritannien. Rankings werden dem oft nicht gerecht. Ich will ihnen aber nicht absprechen, dass sie gute Informationen über Forschungsproduktivität geben. Aber da gibt es regionale und sprachliche Verzerrungen, zudem fachspezifische, die zugunsten der Naturwissenschaften im Vergleich zu den Sozial- und Humanwissenschaften gehen.

Was könnten europäische Universitäten besser machen?

Wir müssen einiges lernen, wenn es um die Autonomie von Unis, um die Finanzierung und die internationale Ausrichtung geht.

Benötigen die Unis mehr Autonomie?

Es gibt eine ziemlich eindeutige Studie eines Brüsseler Thinktanks, durchgeführt von einem französischen Professor für Wirtschaft an der Harvard University, die zeigt, dass Unis umso effizienter Forschung leisten, je autonomer sie sind. Wenn ein Staat in eine autonome Unis Geld steckt, dann hat er mehr von dieser Investition. Dieser Multiplikationseffekt ist heute beinahe erwiesen, würde ich sagen.

Braucht es mehr privates Geld für die Universitäten?

Das hängt mit der Tradition des einzelnen Landes zusammen. Tatsache ist auch: Es heißt zwar immer, dass US-Universitäten stärker privat finanziert sind. Allerdings ist das Steuersystem dort so aufgebaut, dass der einzelne Steuerzahler entscheiden kann, ob seine Steuer an eine Universität statt direkt an den Staat geht. Das ist erlaubt. Insofern ist das auch öffentliches Geld.

Ein Modell, das auch für Österreich oder ganz Europa gut wäre?

Ja, warum nicht? Der Punkt in Europa ist aber, dass die Finanzminister nicht wollen, dass die einzelnen Steuerzahler darüber entscheiden, wo das Geld hingeht. Es geht nicht um die Frage, ob öffentliches oder privates Geld. Sondern um die Kernfrage: Wer entscheidet über das Geld?

Sind bessere Netzwerke zwischen Europas Wissenschaftlern und Universitäten nötig?

Da bietet sich heute schon ein sehr unterschiedliches Bild in den einzelnen europäischen Ländern. Es geht darum, „open minded“ zu sein, für den internationalen Wettbewerb offen zu sein und etwa Professoren aus dem Ausland zu holen. Die besten.

Stichwort Elite: Glauben Sie an das Konzept von kleinen Einrichtungen wie dem ISTA, dem Institute for Science and Technology Austria?

Da gibt es kein Rezept, das für alle funktioniert. Nur weil man zehntausende Studenten und Wissenschaftler hat, heißt das nicht, dass man zu den Besten gehört. Auch in den USA gibt es Beispiele dafür, dass das Kleinere besser funktionieren kann, aber nicht muss.

Was macht die europäischen Universitäten im Wettbewerb mit US- oder asiatischen Unis einzigartig? Welche Bereiche sollten sie stärken?

Die kulturelle Vielfalt ist sicher ein entscheidender Punkt, die Breite, die wir hier in der Hochschulbildung haben, die Mobilität, das Offensein. Der Bologna-Prozess mit mehr als 40 Ländern ist einfach beeindruckend. Da haben sich so viele Nationen mit mehr als 20 Sprachen auf ein Modell geeinigt. Das ist eine echte Stärke. Auch kleinere Länder wie Österreich, die Niederlande oder Dänemark haben die Chance, zu den Besten zu zählen, auch sie können das Modell voll ausschöpfen. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir weiter große Fortschritte verzeichnen.

Sehen Sie eher in US-amerikanischen oder in den asiatischen Universitäten unsere schärfsten Konkurrenten?

Nun, wenn es vor allem um technische oder naturwissenschaftliche Studien geht, dann sind es wohl die asiatischen Unis, ob in China oder Indien. Das Gute daran: Wenn der Standard dort steigt, dann steigt auch das Niveau, das Wissen bei allen anderen. Das ist gut für alle – wissenschaftlich gesehen. Wenn es um die Wirtschaft geht, dann mag das freilich etwas anderes sein.

Zur Person

Jean-Marc Rapp ist Präsident der European University Association (EUA), die mehr als 800 Unis aus 46 Ländern in Brüssel vertritt. Von 1999 bis 2006 war der Schweizer Jurist als Rektor der Uni Lausanne, später auch als Präsident der Schweizer Rektorenkonferenz tätig. Die EUA, zu deren Mitgliedern auch die heimische Universitätenkonferenz zählt, hat vergangene Woche in Brüssel den kritischen Bericht „Globale Universitäts-Rankings und ihre Auswirkungen“ präsentiert. „Die Presse“ berichtete. [EUA]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2011)

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