Das Kriegsdilemma des Barack Obama

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USA/Afghanistan: Der US-Präsident kündigte den Beginn des Truppenabzugs an. Er zog die Bedenken der Militärs ins Kalkül, aber auch das wachsende Unbehagen der kriegsmüden Amerikaner.

Washington. Die Aufstockung des Truppenkontingents um ein Drittel hatte der Oberkommandierende nach langen Sondierungen noch mit militärischem Brimborium an der Militärakademie West Point verkündet. Eineinhalb Jahre später leitete Präsident Barack Obama den Beginn des Endes der Afghanistan-Mission der USA mit einer Rede im Weißen Haus ein: unspektakulär, ohne Publikum, ohne martialische Rhetorik und ohne voreilig das Vokabel vom „Sieg“ hinauszutrompeten. Im gedämpften Ton erklärte er: „Das ist der Anfang, aber nicht das Ende unserer Bemühungen, den Krieg herunterzufahren.“

Es ist ein gradueller Ausstieg: Noch für den Sommer ordnete er die Rückkehr von 5000 US-Soldaten an, 5000 weitere werden bis zum Ende des Jahres folgen. Bis September 2012 werden die US-Streitkräfte dann noch 23.000 Soldaten abziehen. Dies entspricht insgesamt genau jener Truppenstärke, die Obama als zusätzliche Schlagkraft in die Schlacht geschickt hat, um die Taliban in die Knie zu zwingen und die al-Qaida zu eliminieren. Fast 70.000 Soldaten, doppelt so viele wie zu seinem Amtsantritt, verbleiben danach weiterhin in Afghanistan.

Ausgeblutet von Kriegskosten

In seiner Kriegsstrategie schlug Obama den Mittelweg ein. Die US-Militärs um Verteidigungsminister Robert Gates und Afghanistan-Oberkommandeur David Petraeus hatten für einen langsameren Rückzug plädiert, um die hart und mit hohem Blutzoll erkämpften Erfolge in den Taliban-Bastionen im Süden und Osten nicht zu gefährden. Demokraten wie Republikaner übten indessen gleichermaßen Kritik am zu zaghaften Abzug.

Einer jüngsten Umfrage gemäß sprechen sich 56 Prozent der Amerikaner – mit steigender Tendenz – für eine möglichst rasche Heimkehr der US-Truppen aus. Die Tötung Osama bin Ladens hat den Befürwortern eines schleunigen Kriegsendes Auftrieb verliehen. Nur vereinzelt melden sich Zwischenrufer wie John McCain zu Wort. Der republikanische Senator, ein Vietnam-Veteran, warf Kriegsskeptikern Isolationismus und Geschichtsvergessenheit vor.

Das Unbehagen wächst, der politische Druck auf die Obama-Regierung nimmt zu. Darin manifestiert sich die Kriegsmüdigkeit einer Nation, die psychologisch und finanziell vom Mehrfrontenkrieg im Irak, in Afghanistan, in Pakistan und zuletzt in Libyen ausgezehrt ist. Insbesondere der Afghanistan-Krieg, der mit beinahe zehn Jahren längste Krieg in der Geschichte der USA, hat seinen Tribut gefordert. Mehr als 1500 US-Soldaten haben am Hindukusch ihr Leben verloren.

Auch finanziell haben die Waffengänge das Land schwer ausgeblutet. Rund 1,3 Billionen Dollar haben die Kriege im Irak und in Afghanistan in den letzten zehn Jahren verschlungen, allein heuer pumpt das Pentagon 120 Milliarden Dollar nach Afghanistan. Angesichts von Rekordschulden von 14,5 Billionen Dollar und eines allgemeinen Spardrucks regt sich überall Widerstand gegen die exorbitanten Militärausgaben.

Wie zuletzt im Vietnam-Krieg hat die US-Bürgermeisterkonferenz ätzend die Frage thematisiert, dass Steuergelder nicht Brücken in Bagdad oder Kandahar finanzieren sollten, sondern in Baltimore und Kansas City. Der demokratische Senator Joe Manchin sorgte mit einem Einwurf für Aufsehen: „Wir können nicht länger guten Gewissens zu Hause Programme streichen, um für den Wiederaufbau in Afghanistan aufzukommen.“

Obendrein wies ein Senatsreport auf die wuchernde Korruption in Afghanistan hin. Mehrere Milliarden Dollar an Wiederaufbauhilfe seien versickert. Das Vertrauen in Präsident Hamid Karzai hat einen neuen Tiefpunkt erreicht.

Fokus auf Pakistan

In seinem Appell nahm Obama auf das Ungemach Bezug: „Amerika, es ist Zeit, dass wir uns auf den Aufbau unserer eigenen Nation konzentrieren.“ Er versicherte, den Krieg verantwortungsvoll zu Ende zu bringen, ohne Afghanistan als perfekte Demokratie zu hinterlassen. Die Mission stehe nun im Zeichen des Wandels vom Kampf- zum Assistenzeinsatz – und zudem vor einem Kommandowechsel. Petraeus kehrt als CIA-Chef in die USA zurück. Pragmatiker Obama zeigte sich zuversichtlich hinsichtlich einer Versöhnungsaktion mit den Taliban und deutete eine Fokussierung auf die Terrorbekämpfung in Pakistan an – eine, wie sich gezeigt hat, noch heiklere Aufgabe. Es ist eine Strategie, die sein Vize Joe Biden längst im Sinn hatte.
Leitartikel Seite 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2011)

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