ÖVP: Ausweg beim Sitzenbleiben gesucht

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Bewährungsprobe für Obmann Spindelegger nach parteiinternen Muskelspielen und "Regiefehler" um Schulreform. Mit einem Aufsteigen noch mit drei „Nicht genügend“ ist die ÖVP-Führung nicht einverstanden.

Wien/Ett. In der Bundesregierung ist Vizekanzler Michael Spindelegger um Eintracht in der Zusammenarbeit mit der SPÖ und Bundeskanzler Werner Faymann bemüht. Nun machen jedoch schwarze Parteikollegen dem ÖVP-Obmann einen Monat nach seiner offiziellen Wahl beim Bundesparteitag in Innsbruck das politische Leben schwer. Nachdem Vertreter der steirischen ÖVP zuletzt demonstrativ einen eigenen kantigen Kurs gegenüber Bundespartei und Regierung angekündigt haben, wird es nun, wie der „Presse“ am Fronleichnamstag aus verlässlicher Quelle bestätigt wurde, zu einer Aussprache Spindeleggers mit den Steirern kommen. In der Bundes-ÖVP ist man ganz und gar nicht erfreut über die Muskelspiele der steirischen ÖVP, die sich bei parteiinternen Personalrochaden im April und Mai übergangen gefühlt hat.

Spindelegger steht allerdings derzeit nicht nur die erste offene Kraftprobe mit einer starken ÖVP-Landesorganisation bevor, die auch in der Vergangenheit schon so manchem schwarzen Bundesparteiobmann Probleme bereitet hat. Der Vizekanzler ist jetzt auch intensiv bemüht, einen „Regiefehler“ im Zuge der jüngsten Schulreform auszumerzen. Vizekanzler und Bundespartei stehen zwar weiter zu der im Koalitionspakt vorgesehenen Umstellung auf ein modulares Schulsystem in der Oberstufe als Vorbereitung auf die Universität. Allerdings wird mit der SPÖ fieberhaft nach einem Kompromiss in der Frage des Sitzenbleibens gesucht.

Amon hat kein „Kommando retour“ gehört

Die Schulnovelle wird zwar, wie berichtet, in Begutachtung geschickt. Mit einem Aufsteigen noch mit drei „Nicht genügend“ ist die ÖVP-Führung jedoch nicht einverstanden. Spindelegger hat deswegen ÖVP-Verhandler Bildungssprecher Werner Amon in dieser Frage bereits zurückgepfiffen. Dieser will freilich kein „Kommando retour“ aus der Partei vernommen haben, wie er am Mittwoch im ORF-Radio erklärte.

Amon gibt aber nicht klein bei: Aus der Sicht des ÖVP-Bildungssprechers ist seine Partei nicht dagegen, dass im Rahmen der geplanten modularen Oberstufe Schüler erst ab vier „Nicht genügend“ das gesamte Schuljahr wiederholen müssen. Spindelegger und die ÖVP haben die Novelle als gut bezeichnet, in der Frage des Sitzenbleibens gebe es aber einen Dissens.

Konsequenzen – etwa die Abberufung als Bildungssprecher – werde es für Amon nicht geben, wurde auf Anfrage im Büro des Vizekanzlers und in der Bundesparteizentrale versichert. Die Schuld für den in der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck wird Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) zugeschoben, die vom Abschaffen des Sitzenbleibens gesprochen habe.

Kritiker des Sitzenbleibens argumentieren, dass Klassenwiederholungen Mehrkosten verursachen. Das Unterrichtsministerium rechnet nach einem Aufsteigen mit bis zu drei „Nicht genügend“ daher mit Einsparungen bis zu 40 Millionen Euro.

Deutsche Studie warnt vor Sitzenbleiben

Schützenhilfe für das Unterrichtsressort und die SPÖ kommt vom deutschen Bildungsforscher Klaus Klemm. Das Wiederholen einer Klasse habe keinen nachhaltig positiven Effekt, folgert Klemm laut einem Bericht der Austria Presseagentur aus mehreren deutschen sowie internationalen empirischen Studien zum Sitzenbleiben.

Leistungsschwache Schüler, die die Klasse wiederholen mussten, brachten demnach schlechtere Leistungen als ihre leistungsschwachen Altersgenossen, die in die nächste Klasse aufsteigen durften. Im Verlauf der Jahre nehme der Leistungsabstand sogar zu, schrieb Klemm in der Studie „Klassenwiederholungen – teuer und unwirksam“ im Auftrag der Bertelsmann Stiftung im Jahr 2009.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2011)

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